Theaterkasse
Maximilianstraße 26-28
Mo-Sa: 11:00 – 19:00 Uhr
+49 (0)89 / 233 966 00
theaterkasse@kammerspiele.de
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Hier finden Sie Ansprechpartner*innen aus der Dramaturgie, Kunst und Technik.
Eine leere Wohnung, aufgebrochen von der Polizei. Hinter einer mit Klebeband luftdicht verschlossenen Tür der tote Körper einer alten Frau. Rückblende: Anne und Georges sind ein älteres Ehepaar mitten im Leben. Jenseits um die 80 genießen sie einen erfüllten Ruhestand in einer großzügigen Altbauwohnung; Konzertbesuche und Treffen mit Freunden prägen den Alltag — bis Anne plötzlich einen Schlaganfall erleidet. Zunächst beginnt ihr Mann, sich aufopferungsvoll um sie zu kümmern. Beide versuchen, sich mit der neuen Situation zu arrangieren. Zunehmend jedoch schottet sich das Paar von der Außenwelt ab. Als sich ihr Zustand verschlechtert, konfrontiert Anne ihren Mann mit dem Wunsch zu sterben. Für Georges geraten alle fragilen Gewissheiten ins Wanken.
Michael Haneke seziert in starren Einstellungen, mit kaltem Blick das letzte Jahr eines Ehepaares und fragt danach, wie mit dem Leiden eines geliebten Menschen fertig zu werden ist. Mit der ihm eigenen kühlen Unparteilichkeit porträtiert er seine Figuren, erlaubt uns, sie zu erleben, ohne sie zu erklären. Er wisse selbst nicht mehr über seine Figuren als das Drehbuch, sagte Haneke einmal über Liebe. Und so untersucht er, wie Krankheit und Pflegebedürftigkeit in eine bürgerliche Familie einbrechen, und konfrontiert uns Zuschauende mit einem Lebensende zwischen Liebe und Gewalt, zwischen Mord und Sterbehilfe.
Der österreichische Regisseur Michael Haneke, geboren 1942 in München, gilt als einer der wichtigsten Autorenfilmer Europas. Durch sein filmisches Werk zieht sich, wie der Filmtheoretiker Georg Seeßlen schrieb, die „innere Vergletscherung — der Analphabetismus der Gefühle“ und mithin die Frage, wie die Gewalt unter der Fassade bürgerlicher Existenzen brodelt. Viele seiner Arbeiten wie Funny Games (1997), Caché (2005) oder Das weiße Band (2009) waren Welterfolge. Seit seinem ersten Kinofilm, Der siebente Kontinent von 1989, in dem sich eine ganze Familie kollektiv das Leben nimmt, interessiert sich Haneke dafür, wie Menschen reagieren, wenn sie mit dem Wunsch nach Hilfe beim Suizid konfrontiert sind. „Liebe“ geht von einem persönlichen Erlebnis Hanekes aus, der von seiner Tante um Hilfe bei Suizid gebeten wurde und dies jedoch ablehnte. 20 Jahre später ließ Haneke die Wohnung seiner Eltern als Filmset nachbauen, um mit Liebe seinen sicher intimsten Film zu inszenieren, der ihm 2013 fünf Nominierungen und den Oscar als bester fremdsprachiger Film einbrachte.
Wie gehen wir als Gesellschaft mit Alter, Verletzlichkeit, Sterben und Tod um? Offensichtlich hat diese Frage in den letzten Jahren an Virulenz gewonnen. In mehreren europäischen Ländern sind die Gesetzgebungen zur passiven Sterbehilfe und zum assistierten Suizid in Bewegung geraten und werden vor den höchsten Gerichten verhandelt. Sollte es zulässig sein, dass Menschen, die nicht mehr leben möchten, Hilfe beim Sterben erhalten können? In Europäischen Ländern wie etwa der Schweiz und den Niederlanden ist dies unter bestimmten Bedingungen möglich – in Deutschland ist die Frage von Sterbehilfe und assistiertem Suizid, nicht zuletzt mit Blick auf die Geschichte, hochumstritten. Das Bundesverfassungsgericht hob 2020 das Verbot einer Beihilfe zum Suizid auf. Der Bundestag ist seitdem in der Verpflichtung eine neue gesetzliche Regelung zu erlassen. Erst im Juli 2023 debattierte der Deutsche Bundestag zwei Gesetzentwürfe – keiner erhielt jedoch eine Mehrheit. Insofern zielt Hanekes Film wie unsere Uraufführung ins Zentrum einer ethischen Debatte, die wir ganz aktuell als Gesellschaft zu führen haben.
Mit dieser Koproduktion von Salzburger Festspielen und Münchner Kammerspielen wurde erstmals in Österreich ein Film von Michael Haneke für die Theaterbühne adaptiert. Karin Henkel, eine der renommiertesten Regisseurinnen des deutschsprachigen Theaters und in Salzburg bestens bekannt unter anderem durch Richard the Kid & the King (2021), entwickelt einen sehr freien Zugang zu Hanekes Meisterwerk und verzichtet konsequent auf eine realistische Darstellung des klaustrophoben Kammerspiels.
Vielmehr sucht Henkel mit einem großen Ensemble aus Schauspieler*innen und Laien nach sinnlichen Übersetzungen für die permanente Überforderung der Pflege. Sie wählt für diese Inszenierung entschieden eine ganz eigene Perspektive auf den in sich so meisterhaften Film und findet eine sehr sinnlich surreale Übersetzung, indem sie ganz aus der subjektiven Perspektive des zunehmend mit der Pflegesituation überforderten Ehemanns erzählt. So erlaubt sie uns einen Blick in Georges Erinnerungswelt und wagt damit bei aller Bitterkeit des Sujets nicht zuletzt einen tragikomischen Blick in eine Gesellschaft im Pflegenotstand.
André Jung kehrt für die Rolle des George an die Kammerspiele zurück. Als Anne wird dabei nicht eine einzelne Darstellerin zu sehen sein. Da ist Katharina Bach, eine Schauspielerin in dem Alter, in dem sich Anne und George womöglich kennengelernt haben dürften, da ist Tänzer Joel Small, da ist ein kleines Mädchen und da ist – und dies ist ein besonderer Kunstgriff von Karin Henkels Inszenierung: eine Gruppe von Laien, ein Chor, der immer wieder auftritt, quasi als Sinnbild der Überforderung und der zunehmend verschobenen Wahrnehmung von George.
Die Menschen, die wir eingeladen haben, an diesem besonderen Projekt mitzuarbeiten, sind allesamt Personen, die in ihrer Biografie bereits selbst oder mit Blick auf enge Angehörige mit der Frage nach selbstbestimmten Sterben konfrontiert waren. Ihre tief berührenden Geschichten fließen in diesen Theaterabend ein, der in poetischen Bildern, nach einem selbstbestimmten Umgang mit Krankheit und Tod fragt.
Tobias Schuster
- Seneca an Lucilius, 70. Brief
- Seneca an Lucilius, 70. Brief
Von Michael de Ridder
Schwerste, zumal aussichtslose Krankheit kann die Leidensfähigkeit und Leidensbereitschaft eines Menschen aufs Äußerste strapazieren, ja ihn letztlich zermürben und überfordern. Seine Krankheit und sein Leiden haben ihn in eine unerträgliche und hoffnungslose Lage manövriert, die nach einem Ende verlangt, das als ein natürliches abzuwarten ihm nicht mehr zumutbar erscheint. Selbst beste soziale Aufgehobenheit und die Angebote und Möglichkeiten umfassender palliativmedizinischer und/oder hospizlicher Versorgung vermögen es dann nicht, den Entschluss eines Schwerstkranken, das Ende seines Leidens selbst herbeiführen zu wollen, zu revidieren. Ein Zweites kommt hinzu: Mancher Schwerkranke wünscht keine palliativmedizinische oder hospizliche Versorgung; er will über Zeit, Ort und die Umstände seines Lebensendes selbst entscheiden. Und dies steht ihm zu, sofern er frei verantwortlich zu entscheiden in der Lage ist, über alle alternativen Möglichkeiten der Leidens- und Symptomlinderung informiert und aufgeklärt wurde und der Sterbewille sich als nachhaltig erweist. Die Ausweglosigkeit des Leidens in aussichtsloser Krankheit oder schwerster Versehrtheit erfährt in manchen Fällen noch eine Verschärfung dadurch, dass die Medizin in den letzten Jahrzehnten neben all ihren Errungenschaften auch beängstigende und grausame Existenzweisen hervorgebracht hat, in die Menschen ohne sie nie geraten wären, weil sie zuvor eines natürlichen Todes gestorben wären. Hierzu gehören beispielsweise Patienten, die auf eine mehr oder weniger dauerhafte intensivmedizinische Behandlung angewiesen sind: Menschen mit schwersten neurologischen Beeinträchtigungen, wie beatmete Patienten mit Amyotropher Lateralsklerose, kurz ALS […], hoher Querschnittslähmung oder solche mit sogenanntem Locked-in-Syndrom, die bei erhaltenem Sein nicht auch nur einen Muskel zu bewegen imstande sind. Angesichts solch extremer Leidenszustände, die paradoxerweise die Folge wohlgemeinter therapeutischer Interventionen sind, sich allein darauf zu berufen „Anwalt des Lebens“ zu sein, ist wohlfeil und nach meinem Dafürhalten wenig verantwortungsvoll, weil es dem Leiden eines Patienten, der Hilfe zur Beendigung dieses Zustandes wünscht oder gar verlangt, nicht nur nicht gerecht wird; es ist in meinen Augen sogar unmenschlich. Mit dem Wunsch eines Kranken nach Suizidhilfe konfrontiert, müssen Ärzte sich zwar von der Authentizität seines Leidens überzeugen, es zu bewerten steht ihnen indes nicht zu.
- Seneca an Lucilius, 70. Brief
Seit 2020 ist der Bundestag in der Verpflichtung, unseren Umgang mit dem selbstbestimmten Sterben neu zu regeln. Einblicke in die Debatte.
Die Vereinigung engagiert sich für Autonomie bis zum Lebensende.
In der Schweiz gibt es die Möglichkeit, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Vorbild oder abschreckendes Beispiel?
ZDF Aspekte verfolgte im Sommer mehrere Produktionen bei den großen Theaterfestivals. Eine Reportage über die Entstehung von „Liebe (Amour)“.
Hilfsangebote für Menschen mit Depressionen, Suizidgefährdete und ihre Angehörigen: Wenn Sie sich in einer scheinbar ausweglosen Situation befinden, zögern Sie nicht, Hilfe anzunehmen.
Hilfe bietet unter anderem die Telefonseelsorge in Deutschland unter 0800-1110111 (kostenfrei) und 0800-1110222 (kostenfrei) oder online unter telefonseelsorge.de an. Eine Liste mit bundesweiten Beratungsstellen gibt es hier.
Die Textfassung enthält Auszüge aus Das Leben ist ein vorübergehender Zustand von Gabriele von Arnim, © Hamburg: Rowohlt Verlag 2021.
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