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Michael de Ridder: Formen der Sterbehilfe

„Sterbehilfe“ ist, für sich genommen, ein unscharfer Begriff, weil er fünf Formen der Hilfe beinhaltet: Sterbebegleitung, Zulassen des Sterbens, indirekte aktive Sterbehilfe, Suizidhilfe und direkte aktive Sterbehilfe. Sie lassen sich nach den Kriterien „legal“ und „illegal“ sowie „aktiv“ und „passiv“ differenzieren. Vielfach wird auch die „Hilfe im Sterben“ (Sterbebegleitung, Zulassen des Sterbens, indirekte aktive Sterbehilfe) von der „Hilfe zum Sterben“ (Suizidhilfe, direkte aktive Sterbehilfe) unterschieden.

Im Sprachgebrauch der Medien und der Öffentlichkeit bezeichnet der Begriff Sterbehilfe allein zwei Formen der aktiven Lebensbeendigung: die ärztliche Suizidhilfe und die direkte aktive Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen, auch „Todesspritze“ genannt).

Achtung: Die Begriffe „passiv“ und „aktiv“ sind nicht gleichzusetzen mit „legal“ und „illegal“. Nach bestehendem Recht ist statthaft, was dem Willen des freiverantwortlichen Patienten entspricht, sei es aktives Tun oder Unterlassen im Zuge eines Behandlungsabbruchs.

Verboten ist und unter Strafe steht (nach §§ 212 und 216 Strafgesetzbuch) allein die vorsätzliche gezielte aktive Tötung eines Patienten, selbst auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin.

Passive Sterbehilfe — kausal für den Tod des Patienten sind natürlicher Verlauf von Krankheit und Alter Sterbebegleitung (legal)

Unter Sterbebegleitung versteht man das gesamte Spektrum menschlicher Zuwendung und Leidenslinderung: einfühlsame Betreuung, Unterbringung in einer menschenwürdigen Umgebung, Seelsorge und Trost durch Angehörige, Freunde, Arzt und Pflegekräfte. Darüber hinaus gehören zur Sterbebegleitung all die palliativ-medizinischen Mittel und Maßnahmen, die die vielfältigen Symptome Sterbender zu lindern in der Lage sind. […]

Zulassen des Sterbens (legal)

Zulassen des Sterbens ist gleichzusetzen mit dem Unterlassen oder der aktiven Beendigung lebensverlängernder und möglicherweise leidensverlängernder Maßnahmen gemäß dem Willen des Patienten. Das geltende Recht, bekräftigt durch zahlreiche höchstrichterliche Entscheidungen, macht allein den aktuellen Willen des Patienten (Patient ist bei klarem Bewusstsein) oder seinen schriftlich vorausverfügten Willen (Patientenverfügung) oder seinen mündlich übermittelten Willen (Vollmacht) oder seinen mutmaßlichen Willen (der zu erschließen ist) zur verbindlichen Richtschnur dafür, ob und wie lange lebenserhaltende Maßnahmen durchgeführt werden dürfen. Dabei wird zwischen den vielen verschiedenen Weisen künstlicher Lebensverlängerung nicht unterschieden. […] In einem jeden solcher Fälle überlässt man auf der Grundlage des Patientenwillens eine ohne Behandlung zum Tode führende Krankheit ihrem natürlichen Verlauf. […] jede weitere lebensverlängernde Behandlung [würde] eine rechtswidrige Körperverletzung darstellen, für die sich der Arzt gegebenenfalls strafrechtlich verantworten müsste. (Umgekehrt wäre es eine rechtswidrige Tötung, angezeigte Maßnahmen zur Lebenserhaltung durch Unterlassen nicht anzubieten, wenn der Patient leben will.) […]

Nicht außer Acht gelassen werden darf indes, dass kaum jemals überprüfbar ist, ob der Arzt durch die Verabreichung von starken Schmerzmitteln oder solchen, die äußerste Atemnot bekämpfen, im strengen Sinne allein Symptomlinderung verfolgt oder, darüber hinausgehend, eine Lebensverkürzung, das heißt den erlösenden Tod des Kranken, im Auge hat. Nur der Arzt weiß um seine eigene Absicht, die er vor seinem Gewissen zu verantworten hat. Zudem kann der äußerst schmale Grad [sic] zwischen der gebotenen indirekten Sterbehilfe und der verbotenen direkten aktiven Sterbehilfe vom Arzt kaum „berechnet“ werden. […]

Dass die Grenzen zwischen einem durch indirekte Sterbehilfe herbeigeführten Tod und gezielter Tötung ineinander übergehen, wird in Extremsituationen schwerster Erkrankungen deutlich: Ein unerträglicher Todeskampf droht beispielsweise Patienten, bei denen ein Lungentumor auch in die großen Lungengefäße eingebrochen ist und schwerste Angstzustände, Atemnot und Bluterbrechen die Folge sind. Die gezielte Verkürzung des Todeskampfes ist dann ärztliche Pflicht. Dem Patienten muss mit entsprechenden Mitteln schnellstmöglich das Bewusstsein genommen werden. Ob dieses Handeln den Todeskampf verkürzt, ist rechtlich ohne Bedeutung. […]

Suizidhilfe (legal)

Suizidhilfe bezeichnet die gezielte Hilfeleistung einer Person (Arzt / Angehöriger), die es einer anderen Person auf deren freiverantwortliches Verlangen hin ermöglicht, von eigener Hand zu sterben (Tatherrschaft beim Patienten!), indem in der Regel eine tödliche Dosis eines Medikaments verschrieben wird. Suizidhilfe war strafrechtlich in Deutschland immer erlaubt. Erst als am 9.12.2015 der neu geschaffene Strafrechtsparagraph 217 StGB in Kraft trat, wurde die geschäftsmäßige, das heißt die auf Wiederholung angelegte, Suizidhilfe (mit wenigen Ausnahmen) unter Strafe gestellt. Dieses Verbot wurde am 26.2.2020 durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts für „nichtig“ erklärt. Suizidhilfe ist also seit dem 26.2.2020 grundsätzlich (wieder) eine legale Hilfeleistung. Berufsrechtlich ist die Suizidhilfe in der Ärzteschaft umstritten (mehrheitlich wird sie abgelehnt). […]

Direkte aktive Sterbehilfe (illegal)

Direkte aktive Sterbehilfe ist gleichzusetzen mit der gezielten und vorsätzlichen Tötung eines Menschen durch einen anderen, in der Regel ein Arzt (Tatherrschaft beim Arzt!). Was auch immer einem solchen Akt zugrunde liegt, sei es Mitleid, sei es das Verlangen des Patienten, sei es ein niederes Motiv (z. B. Habgier), nach den §§ 212 und 216 ist er in der Bundesrepublik verboten. Dennoch wird auch hierzulande [sowohl in Österreich als auch in Deutschland, Anm.], angestoßen durch die unter bestimmten Bedingungen straflos gestellte direkte aktive Sterbehilfe in Belgien, Luxemburg und den Niederlanden, über die Zulässigkeit dieser Weise der Lebensbeendigung diskutiert, zumal dann, wenn ein Patient nicht mehr oder nur schwerlich in der Lage ist, seinen Tod durch Suizid selbst herbeizuführen. Letztlich ist es auch die Nähe von indirekter aktiver Sterbehilfe und direkter aktiver Sterbehilfe, die diese Diskussion aufrechterhält.

Michael de Ridder ist seit mehr als 30 Jahren als Arzt tätig, zuletzt als Chefarzt der Rettungsstelle eines Berliner Krankenhauses und als Geschäftsführer des von ihm mitbegründeten Vivantes Hospiz. Als Vorsitzender einer Stiftung für Palliativmedizin befasst er sich seit vielen Jahren kritisch mit dem Fortschritt in der Medizin und Fragen der Gesundheitspolitik und erörtert diese u.a. in Die Zeit, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Cicero. Für sein Wirken wurde er vielfach ausgezeichnet, etwa von der Stiftung Gesundheit für sein publizistisches Lebenswerk. Zuletzt erschien bei DVA Wer sterben will, muss sterben dürfen (2021).