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Maximilianstraße 26-28
Mo-Sa: 11:00 – 19:00 Uhr
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Gespräch mit Ayşe Güvendiren und Mikaîl Ezîz
Mikaîl Ezîz begleitet als Musiker den Abend. Die Lieder, die er auf Kurdisch und Türkisch singt, öffnen eigene Erinnerungsräume. Wovon erzählt die musikalische Ebene des Abends? Ayşe Güvendiren und Mikaîl Ezîz im Gespräch mit Felicitas Friedrich.
Felicitas: Mikaîl, du bist in Hannover aufgewachsen. Welche Erinnerungen verbindest du mit dem Fall Halim Dener?
Mikaîl: Ja, das war 1994 und ich war sechs Jahre alt. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich auf der Kundgebung war, nach dem Todesschuss. Also am Tag später. Meine Eltern und ich kennen seine Geschichte. Im Fall Halim Dener ist es so, dass ich ihn zwar nicht persönlich kannte, aber durch Hörensagen und Recherchen von den die Beweggründe für seine Flucht aus der Heimat erfahren habe. Auch meine Eltern sind aus unserer Heimat geflüchtet. Sie sind Zeitzeugen. Deswegen weiß ich, dass wir dasselbe Schicksal teilen. Vor sechs Jahren habe ich dann ein Lied über Halim geschrieben.
Felicitas: Mikaîl Ezîz begleitet „Die Geschichte von Goliath und David“ als Musiker. Ayşe, wann hast du dich dazu entschieden, dass du einen Musiker mit auf der Bühne haben möchtest und warum ist dir die musikalische Ebene wichtig?
Ayşe: Ich habe mich schon sehr früh für eine Position eines Musikers in dieser Produktion entschieden, weil ich wusste, dass ich gerne eine gemeinsame Basis zwischen der türkischen und der kurdischen Community hätte. Musik ist etwas, was diese beiden Communities verbindet, vor allem dieses Instrument, die Saz, die Bağlama. So unterschiedlich sie auch sind, so unterschiedlich ihre Ideale, ihre kulturellen Codes, ihre Geschichten und Narrativen auch sind – dieses Instrument verbindet sie. Beide erzählen über dieses Instrument, ihre Heldengeschichten, ihren Schmerz, ihre Trauer, ihre Freude, ihre Triumphe. Beiden dient dieses Instrument zum Erzählen ihrer Geschichten. Und das findet man nicht oft, oder nicht so oft, wie man es gerne hätte, dass es etwas gibt, was eine Brücke zwischen diesen beiden Communities schlägt. Etwas, was diesen großen Graben an politischen Interessen einmal überbrücken könnte, für einen kleinen Moment.
Felicitas: Würdet ihr sagen, die musikalische Ebene spricht in diesem Abend anders zu Erinnerung und in Erinnerungsräume, als es die Ebene tut, die die drei Spieler*innen bespielen?
Ayşe: Auf jeden Fall. Ich glaube sowieso, dass Musik über ein anderes Storytelling funktioniert. Was die Musik an diesem Abend schafft, ist eine nonverbale Verständigung. Denn selbst als türkischsprachige Person versteht man nicht jedes gesungene Wort. In den Liedern sind unter anderem sehr, sehr alte Formulierungen drinnen. Das heißt, man begibt sich im Zuhören in Zusammenhänge, die sich vielleicht zusammensetzen lassen. Aber trotzdem überwiegt das Nonverbale in den Liedern. Was das Instrument, die Saz, schafft, ist einen Schmerz zu transportieren. Das ist für die Bedeutung der Musik an diesem Abend einfach super wichtig. Denn diese musikalischen Momente schaffen ein womöglich gemeinsames Empfinden bei Menschen, die politisch total unterschiedlich denken können. Die Lieder bieten einen gemeinsamen Resonanzraum, in dem die Erinnerung an Schmerz, Wut, Trauer und die Kämpfe von Menschen empfunden werden kann. Es geht auch darum, sich einzugestehen: Wir können die gleiche Sprache sprechen und trotzdem einander nicht verstehen. Oder: Wir sprechen nicht dieselbe Sprache. Können wir trotzdem einander verstehen?
Felicitas: Hängt damit auch deine Entscheidung zusammen, die Liedtexte nicht zu übertiteln, sie auf der Bühne nicht zu verschriftlichen, sondern nur als Räume der gesprochenen Sprache stehen zu lassen?
Ayşe: Ja, ich glaube, ein entscheidender Punkt ist auszuhalten, dass man in einen Theaterabend geht und vielleicht nicht alles versteht, was an diesem Abend auf dieser Bühne gesprochen oder gesungen wird. Aber wie gesagt: Ich finde, selbst wenn man die Musik nicht versteht – also nicht versteht, was sie wortwörtlich sagt – versteht man sie trotzdem. Ich beispielsweise spreche kein Wort Kurdisch, obwohl ich väterlicherseits kurdisch bin. Und dennoch erzählt mir diese Musik etwas, wenn ich sie höre, selbst wenn ich das Lied nicht Wort für Wort verstehe. Sie überbringt mir etwas: ein Gefühl, das ich trotz fehlenden Sprachkenntnissen vermittelt bekomme. Und natürlich ist es ein Fehlen einer Übersetzung, auch ein Schutzraum bzw. wahrt die Komplexität der Erinnerung in einem Sprachraum. In dem Moment, in dem ich versuchen würde, die türkischen oder kurdischen Songtexte zu übersetzen, merke ich: die deutsche Sprache gibt die Poetik des Originals nicht her. Ich müsste einen sehr, sehr großen Kompromiss und große Abstriche eingehen, um die Lieder zu übersetzen.
Felicitas: Mikaîl, du begleitest den Abend als Musiker. Wie würdest du deine Rolle neben den drei Spieler*innen beschreiben? Funktioniert die musikalische Ebene für dich anders als die spielerische?
Mikaîl: Ja, die musikalische Ebene funktioniert auf jeden Fall anders. Vor allem emotional. Musik ist ein Instrument, um Geschichten anders zu erzählen. Ich muss aber auch sagen: Ich sehe mich als vierten Spieler und ich sehe uns als Quartett. Ich sitze nicht einfach hinter den drei Spieler*innen und warte auf meinen Moment und träller’ dann einfach. Ich gehe von Anfang an mit ihnen und bin immer wieder eine Basis: mit meiner Eröffnung, am Ende und dazwischen auch. Das Stück ist ein Teil von mir und ich sehe mich als Teil des Stückes. Wir kommen alle immer wieder zusammen an diesem Abend. Und das zu bündeln, die Stärken zu bündeln und fusionieren zu lassen, das macht noch mächtiger.
Felicitas: Du trägst eigentlich zu einer Ermächtigung bei.
Mikaîl: Ja. Und ich nenne mich auch deswegen einen vierten Spieler, weil ich auch die Texte der Schauspieler*innen schon fast auswendig kenne. Das geht soweit, dass ich mich dabei erwische, dass ich zu Hause und in meiner Freizeit Texte aus dem Stück nachspreche. Gestern erst wir waren wir mit den Schauspieler*innen im Hotel, wir wollten einchecken und da kam ein Herr und der sagte so laut in den Raum: „Vielleicht“. Dieses Wort „Vielleicht“ kommt ja auch mehrfach in dem Stück vor. Und in dem Moment habe ich mich zu Safak umgedreht und gesagt: „Ich lausche deinem Schweigen“.
Felicitas: Mikaîl singt insgesamt vier Lieder. Drei auf Türkisch, eines auf Kurdisch. Ein türkisches Lied, das Mikaîl singt, heißt „Kardeşim duymaz“ – übersetzt heißt das „Dein Bruder, deine Schwester, dein Geschwister hört nicht“. Warum habt ihr das Lied ausgewählt? Was erzählt das für euch?
Ayşe: „Kardeşim duymaz“ ist ein Lied, wovon ich sehr früh wusste: dieses Lied möchte ich unbedingt in dem Abend haben. Denn eines der innenpolitischen Narrative in der Türkei behauptet, dass Kurd*innen und Türk*innen Geschwister seien. Dahinter steckt der Versuch zu sagen: „Wir haben keine Unterschiede. Wir sind Geschwister. Deswegen gibt es nichts zu streiten. Es gibt keine Unstimmigkeiten. Alles ist gut.“ Das ist es aber nicht. Es gibt Ungerechtigkeiten, es gibt Opression und Repressalien gegen Kurd*innen und andere Minderheiten innerhalb der Türkei, die als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. „Kardeşim duymaz“ erzählt – gegen das Narrativ von der Geschwisterlichkeit – davon, dass nicht alles gut ist: Dein Bruder, deine Schwester, dein Geschwisterchen, hört deinen Schmerz nicht. Aber wenn wir doch Geschwister sind, dann solltest du meinen Schmerz doch genauso empfinden, oder? Also entweder sind wir nicht so behauptet Geschwister oder wenn wir Geschwister sind, wieso hörst du mich dann nicht? Spannend finde ich auch die Frage: Müssen wir Geschwister sein, um gehört zu werden?
Felicitas: Mikaîl, „Warê me Ye“, das Lied, das du auf Kurdisch singst, heißt so viel wie: „Es ist unsere Heimat“. Wovon erzählt dieses Lied?
Mikaîl: Das Lied erzählt davon, wie einem die Heimat unter den Füßen weggerissen wurde. Auf gewaltvolle Weise, mit Bombardierungen aus der Luft, In-Brand-Setzung von Wohnungen, mit Mord. Es erzählt Geschichte einer Besatzungsmacht, die kurdische Dörfer gewaltvoll eingenommen haben und Andersgläubige, Anderssprachige auslöschen wollten. Eine Geschichte, die bis heute andauert. Das ist ja kein Konflikt, der auf Eis gelegt ist, sondern der dauert bis heute an. Das Lied erzählt davon: Dass unsere Heimat weggenommen wurde. Es erzählt vom Alleingelassenwerden. Das kurdische Volk ist in der Geschichte auch immer alleingelassen worden und wird es immer noch.
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