MK:

Stimmen zum künstlerischen Prozess...

Wir haben uns auf eine Reise begeben

Wir haben uns auf eine Reise begeben. Und währenddessen hat sich das Wir verändert. Es begann lange vor der eigentlichen Reise als ein kleines Wir zunächst von zweien, die die Idee hatten, oder von fünfen, die sich schon kannten oder von acht als künstlerisches Produktionsteam. Das Wir hatte sich schon laufend vergrößert, hatte sich verzweigt nach Lomé, über Leipzig und Frankreich, hat sich wabernd verändert, ist nun im März 2021 vielleicht weniger zu fassen, als noch vor einem Jahr zu Beginn des Prozesses, aber umso deutlicher miteinander verbunden. Es wurde viel möglich, getragen durch viele. Ein gemeinschaftlicher Prozess, Widerspruch und Diskussion, Gast zu sein und Gastgeber. Durch viele Gespräche innerhalb des Teams an den Münchner Kammerspielen, das sich in dieser Konstellation erst kennenlernen musste. Durch viele Gespräche in die Ferne, über E-Mail, Messenger, Videokonferenzen. Durch viele Begegnungen in der Realität in Lomé, Atakpamé, Kamina, Wahala. Vielleicht ist das Wir schon so groß, so verzweigt, so aufregend, so widersprüchlich, so ohne jede Einheit, dass es sich schon längst nicht mehr angemessen mit dem Wort Wir beschreiben lässt.
Olivia Ebert

Eine dritte Kultur

Gruppenreise in Zeiten der Pandemie als Versuchsanordnung. Der Wunsch nach Aufbereitung, nach Aufarbeitung, die Suche nach Antworten. Diesen Zustand des Zwischen-den-Welten-Driftens erkennen und zuzulassen, sich lebendig zu fühlen und Zuhause in beiden Welten, Gleichgesinnte an der Seite zu wissen und darüber Zuversicht zu schöpfen, die alten Plätze besuchen und Geschichte nachspüren, wahrnehmen und die eigenen Wahrheiten prüfen. Im Zusammenhalt einer Gemeinschaft, die weder zu wenig afrikanisch, noch zu sehr europäisch ist, ist die Lösung verborgen, eine dritte Kultur. Die Lösung ist die Kunst, nicht die Politik – vielleicht ist dies die neue Geschichte.
Komi Togbonou

Ferngespräch – Sprachnachrichten in der Endprobenwoche

Olivia Ebert, Martin Weigel, Jan-Christoph Gockel, Nancy Mensah-Offei

Olivia: Wir haben nun über eine lange Zeit zusammengearbeitet, wurden von einer kleinen Keimzelle zu einer immer größeren Gruppe. Wir haben uns vor dem Sommer zusammengefunden, im November dann unsere erste Arbeitsphase miteinander gestaltet mit einem ersten Kennenlernen mit Elemawusi Agbédjidji, einem ersten Sykpe mit Paulin Koffivi Assem, einem Workshop zum rassismuskritischen Zusammenarbeiten mit Tsepo Bollwinckel. Und dann wurden mit der Reise nach Togo im Februar 2021 die Kontakte immer zahlreicher. Wenn ihr diesen ganzen Weg rekapituliert mit all den Fragen, Inhalten, Begegnungen – wie würdet ihr ihn beschreiben und was waren da besondere Momente für euch?

Martin: Für mich war das Wichtigste in diesem Arbeitsprozess die Begegnung. Die unterschiedlichen Perspektiven auf ein Thema, das uns alle betrifft, auf eine Geschichte, die wir teilen. Den Dramaturgen und Schauspieler Marlène Douty, mit dem ich im Workshop zusammenarbeiten konnte, habe ich gefragt, ob er sich ausgehend von meiner Figur –, ein global agierender Unternehmer, ein Mensch der weißen Dominanzgesellschaft in Europa – überhaupt vorstellen kann, in eine gemeinsame Zukunft zu gehen. Natürlich bin ich da auch eine Art Stellvertreter – ob ich will oder nicht. Er sagte – und das finde ich überhaupt nicht selbstverständlich – er könne sich die Zukunft nur gemeinsam vorstellen, und: manchmal muss man die Vergangenheit erzählen, um in die Zukunft gehen zu können. Das war für mich eine Schlüsselerfahrung. Auch weil er noch einmal klar beschrieben hat: die Kolonialgeschichte betrifft ihn bis heute und wirkt sich bis heute auf seine Realität aus.

Jan-Christoph: Es geht für mich nicht nur um den eigenen Erkenntnisgewinn, sondern auch um die Begegnung mit einer anderen Realität oder mit einer globalen Realität in Lomé, wo wir historisch geforscht haben, aber tatsächlich auch etwas über das Jahr 2021 erfahren haben: Was heißt Corona denn global und wie ist der Umgang mit Corona in Togo? Das war ein Verlassen, der eigenen Perspektive und eine Befragung der eigenen Ängste.

Was für mich das Projekt besonders macht ist die Arbeitskonstellation: sie ist permanent gewachsen, mit dem Ensemble und dem Team hier und den unglaublich vielen Kollaborationen, die wir eingegangen sind und an denen wir noch permanent arbeiten. Es ist ein Prozess, der nicht von einem Text, einer Perspektive ausgeht, sondern einen permanenten Austausch sucht – miteinander und versuchsweise auch mit der Welt – was gar nicht so leicht war in diesem letzten Jahr. Und das war und ist für mich das wichtigste Arbeitsinstrument, um diesen Abend zu kreieren: die gemeinsamen Autor*innenschaft.

Nancy: Ich habe noch nie so einen Probenprozess erleben dürfen, der so viel Raum und so viel Zeit hat und dann auch noch eine Reise beinhaltet. Und ich habe das Gefühl, dass wir dadurch ganz unterschiedliche Perspektiven kennenlernen und finden durften, zum Glück.

Ich fand es großartig, dass wir es hingekriegt haben zu sagen: ja, wir senden Signale aus, wir verbinden uns irgendwie in dieser Zoom-Realität, Skype, What’s App – und wir fahren aber auch tatsächlich hin. Wir fahren einfach hin. Das ist in diesen Zeiten, wo so viel Angst ist, das ist ein unfassbar schönes Zeichen.

Christoph Leibold hat für das Goethe-Institut einen ausführlichen Bericht über unsere Zusammenarbeit erstellt, der hier zu lesen ist: http://peachesandrooster.de/wir-schwarzen-muessen-zusammenhalten-eine-erwiderung/

Weitere Eindrücke aus dem künstlerischen Prozess finden Sie auf dem Blog von peaches & rooster: http://peachesandrooster.de/news/