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O-Ton Kurt Eisner

O-Ton Kurt Eisner

Wenn Sie ein Gefühl dafür bekommen möchten, wie 1919 politische Reden gehalten wurden und mehr über die Einstellung des ersten Bayerischen Ministerpräsidenten wissen möchten, lesen Sie hier eine Rede von Kurt Eisner.

Wir waren das Volk ohne Revolution und jetzt, wo wir das revolutionärste Volk geworden sind, da glaubt man uns diese Revolution nicht.

Dienstag, 4.2.1919, vormittags
Kurt Eisner

Parteigenossen, es wird nicht leicht sein, heute zu sprechen. Ich gehöre einem besiegten Volke an, und so sehr ich vor einem Jahr bereit gewesen wäre, die schärfsten Anklagen zu erheben, so sehr widerstrebt es mir, heute nach dem Zusammenbruch die billige Arbeit zu leisten, Steine zu werfen auf das, was bereits tot ist. Ich bin im Innersten überzeugt, daß das deutsche Volk eine einheitliche Sozialdemokratie braucht. Wenn ich einen Ehrgeiz hatte, so den, daß wir Deutschen unsere schwere Schuld, die wir alle mitzutragen haben, dadurch sühnen, daß wir auf dem Wege zum Sozialismus voranschreiten, klar, besonnen, sicher unserer Ziele und sicher unseres Wegs. Das können wir nur gewinnen, wenn wir diese innere sachliche Einigkeit erringen.


Wer heute in Deutschland lebt, der weiß, daß (sic!) die Massen im tiefsten umgewühlt sind, daß (sic!) nirgends der Drang nach Demokratie so stark und lebendig ist wie bei uns, und nirgends der Wille und die Sehnsucht, die neue Volksherrschaft im sozialistischen Geiste zu realisieren. Wir sind neu geworden, und ich lege keinen Wert darauf zu behaupten, daß (sic!) wir die Alten geblieben sind, denn dann wäre ja die Frage zu untersuchen, was wir Alten gewesen seien.
Die deutsche Regierung von damals hatte ihre Netze listig genug ausgespannt. Bei uns in Bayern verkündete uns die Regierung in vertraulichen Besprechungen seit dem November 1912 den drohenden Überfall durch Rußland (sic!). Und als im Sommer 1914 die Ereignisse sich zusammenballten, als ich am Anfang der Woche, an deren Ende die Mobilmachung erfolgte, in München in einer Protestversammlung sprach, da war auch ich ganz von dem Gedanken erfüllt, daß (sic!) uns ein Überfall durch den zaristischen Imperialismus drohe.


Parteigenossen, ich sagte Ihnen, um Ihnen zu erklären, und damit Sie auch dem deutschen Volke Gerechtigkeit widerfahren lassen, damals im August, da konnten viele, vielleicht alle, im Irrtum sein, und wenn trotzdem schon damals in der sozialdemokratischen Fraktion eine Anzahl Mitglieder gegen die Bewilligung (der Kriegskredite) stimmten, so nicht aus der Beurteilung der Kriegsschuld, sondern aus rein grundsätzlichen Erwägungen. Sie wollten unter allen Umständen, gleichgültig, wie der Krieg gelagert war, gegen die Kriegskredite stimmen.


Parteigenossen! Ich war nicht in Berlin beim Ausbruch des Krieges, aber als ich das erste deutsche Weißbuch las, da war es mir schon beinah klar, daß wir getäuscht worden waren, und nach wenigen Wochen war ich über die Ursache, Schuld und Verantwortlichkeit dieses Krieges nicht mehr im Zweifel. Ich glaube, es gibt keinen Krieg der Weltgeschichte wie diesen letzten und furchtbarsten, in dem schon während der Kriegshandlungen die volle geschichtliche Klarheit über den Krieg jeder erkennen konnte, der sie erkennen wollte.


Ich halte es für unmöglich, daß wir ohne klare Erkenntnis dessen, was war, ohne noch einmal in das Entsetzen zurückzublicken, ohne mit den Wimpern zu zucken, vorwärts kommen.


Parteigenossen! Jene merkwürdigen Ausführungen von Wels, die darauf hindeuteten, als ob wir alle schuldig seien, Franzosen, Engländer, Amerikaner und Italiener, weil überall der Kapitalismus herrscht und daß wir vielleicht, bedroht durch den Zarismus, noch die Unschuldigsten seien von allen. Ich habe oft während der letzten Monate mit Bürgerlichen über die Schuldfrage gestritten, seit ich aus dem Gefängnis beurlaubt war, und was antworteten sie mir immer? Sie leugneten nicht mehr die deutsche Kriegsschuld, aber sie erklärten, ja was können wir denn dafür, daß wir viereinhalb Jahre angelogen worden sind? Das sagten selbst die Bürgerlichen in allen Schichten, und niemand war mehr unklar darüber, wie dieser Krieg über uns kam. Die Bürgerlichen wollten lieber als Einfaltspinsel und Schwachsinnige erscheinen als vor den Wählern die Verantwortung übernehmen, daß sie sehenden Auges die Kriegspolitik in vollem Bewußtsein (sic!) ihres Wesens unterstützt hätten.
Warum taumelten sie denn in den Krieg wie in ein Abenteuer? Weil sie so fest überzeugt waren von dem raschen Siege Deutschlands, daß sie es gar nicht für nötig hielten, politische und militärische Voraussicht zu bewahren.


Sie verstehen diesen Krieg nicht, wenn Sie nicht die ungeheure Gewissenlosigkeit militärischer Besessenheit kennen. Lesen Sie heute jene wissenschaftlichen Leistungen unserer deutschen Militärs, die vor dem Kriege erschienen, damals als der Krieg als Stahlbad, als Jungbrunnen für die versinkende Menschheit gepriesen wurde und als einziges Mittel, um der aufsteigenden Flut der Sozialdemokratie Herr zu werden. Das haben sie alle offen ausgesprochen. Wenn eines der geistigen Oberhäupter der deutschen Soldateska, einer der schriftstellernden Generäle, kurze Zeit vor dem Kriege in einem dicken Buche mit mathematischer Sicherheit nachgewiesen hat, daß ein deutscher Weltkrieg von Österreich und Deutschland auf der einen und England, Frankreich und Italien auf der andern Seite – Italien war schon damals in den Berechnungen unserer Generäle auf der andern Seite – in dreizehn Tagen entschieden sein würde, so daß nach dieser Zeit kein englisches Schiff mehr auf dem Weltmeere und keine französische Armee vorhanden wäre, die nicht gefangen wäre, dann begreifen Sie, warum wir besinnungslos in dieses Weltabenteuer, das gräßlichste (sic!) der Weltgeschichte, getaumelt waren. Wir wußten (sic!), daß (sic!), wenn der Krieg einmal da ist, jedes Volk zu seinem Lande stehen muß (sic!), und außerdem hat der einzelne Soldat keine Wahl, aber die Aufgabe der Sozialdemokratie lag auf politischem Gebiete. Sie mußte (sic!) die deutsche Regierung stürzen, die politische Macht erobern und Frieden schließen. Nun ist es genug, nun wollen wir Frieden machen. Nein, die Voraussetzung aller Friedensarbeit während des Krieges in Deutschland war der Sturz des schuldigen Systems. Unsere Revolution ist nicht, wie man gesagt hat, zu früh gekommen, sondern sie kam viereinhalb Jahre zu spät. Wäre sie damals, im Herbste 1914, gekommen, dann wäre es heute um Deutschland besser bestellt, und die Welt würde die deutsche Sozialdemokratie segnen, während sie heute in der deutschen Revolution nur den Ausbruch der Verzweiflung erkennt, nicht aber das kühne Aufbäumen eines tapferen Volkes, das sich die Freiheit erkämpft, sondern nur, möchte ich fast sagen, Fäulniserscheinungen des Zusammenbruches.


Wir Deutschen sind in einer (traurigen) Lage. Wir waren das Volk ohne Revolution und jetzt, wo wir das revolutionärste Volk geworden sind, da glaubt man uns diese Revolution nicht. Man glaubt sie uns nicht durch unsere eigene Schuld. Man hat mir vorgeworfen – und ich möchte die Gelegenheit nicht versäumen, darauf zu antworten – daß (sic!) wir, die wir darauf beharren, die Schuld Deutschlands festzustellen und zu beweisen, unser Volk verraten, daß wir die Gelüste der Imperialisten drüben verschärfen.


Wenn nun aber die Dinge so liegen, warum dann heute noch die Legende aufrechthalten? Parteigenossen von der Mehrheit! Sind Sie revolutionär, oder sind Sie es nicht? Wenn Sie es nicht sind, dann gibt es für Sie keine heiligere Pflicht, als die Verbrechen des alten Systems zu züchtigen. Warum stemmen Sie sich dagegen? (WELS: Wir stemmen uns nicht dagegen!) Sie verweisen darauf, daß die Fürsten und Regierungen ja davon gejagt seien. Gewiß (sic!), aber begründet haben Sie dieses Davonjagen merkwürdigerweise damit, Sie hätten eine richtige Politik betrieben, indem Sie viereinhalb Jahre lang dieses verwerfliche System unterstützten. Darin liegt ein unlösbarer Widerspruch. (WELS: Keineswegs!)


Ich bitte Sie! Es ist keine Schande, sich zu irren und dies einzugestehen. Der Augenblick. wo man vom Irrtum erwacht, kommt nie zu spät. Ich bitte Sie wirklich, helfen Sie mit, die neue Internationale zu begründen, indem Sie nun endlich loskommen von Ihrer Befangenheit im alten System.
Es ist eine Eigentümlichkeit der ganzen viereinhalb Jahre, daß wir unser Gedächtnis verloren haben. Das Abendblatt wußte (sic!) ja nie, was im Morgenblatt gestanden hatte.


Und wenn wir heute ganz allein stehen, wenn selbst das ganze deutsche Volk gegen uns wäre, so bekennten wir trotzdem offen diese Schuld. Soll ich Sie erinnern an jene Resolution Graf Westarp-Scheidemann über den U-Boot-Krieg, Sie daran erinnern, wie ohnmächtig Sie gegen Brest-Litowsk sich verhielten, während man ringsum die Welt erobern wollte? Das alles scheint man vergessen zu haben! Sogar für ein einfaches „Nein“ für Brest-Litowsk waren Sie ohnmächtig, aber bei Bukarest waren Sie dann stark genug, ein kräftiges „Ja“ auszusprechen. (WELS: „So?“) Gewiß (sic!). Genosse Wels! Und nun protestieren Sie. Sie entrollen sentimentale Bilder vom deutschen Elend. Wir leiden schwer, das ist wahr. Aber haben Sie einen Grund, eine moralische Berechtigung heute zu irgendeinem Protest?
Ganz gewiß (sic!). Wir litten schwer und leiden heute unsäglich. Aber haben wir ein Recht zu protestieren? Daß (sic!) im Kriege ein Land abgesperrt wird, ist ein in der Weltgeschichte anerkanntes – fast hätte ich gesagt – geheiligtes Kriegsrecht. Und schließlich waren es doch wir Deutsche, die im Jahre 1870 die Stadt Paris wirklich aushungerten. Eine Millionenstadt, in der nichts wächst, läßt (sic!) sich wirklich aushungern, ein ganzes Land nicht. Wer war es denn, der diese Hungerblockade völkerrechtlich forderte? Im Jahre 1907, Parteigenosse Wels, im Haag.


Wer war es, der gegen diesen Antrag stimmte? Deutschland! (Sehr richtig!) Und warum? Das haben die deutschen Delegierten damals nicht gesagt. Aber lesen Sie nur die militärischen Fachblätter. Dann wissen Sie’s: weil bei einem Krieg zwischen England und Deutschland zwar England ausgehungert werden könnte, aber nicht Deutschland. Deswegen haben wir schon 1907 im Haag, verblendet, gegen den englischen Antrag gestimmt.


Für unsere Revolution in Bayern verbürge ich mich dafür, (sic!) es eine wirkliche Revolution war, eine die Massen im tiefsten erschütternde Revolution, geistig vorbereitet seit Jahr und Tag und dann zur Tat gebracht im rechten Augenblick.


Denken Sie, französische und englische Genossen, nicht an Rache, an Vergewaltigung, sondern lassen wir unsere eigenen Schuldigen irgendwo im Verborgenen weiterleben! Das ist eine viel schwerere Strafe für sie als irgendeine andere. Wir wollen uns gar nicht beflecken dadurch, daß wir diese Sünder richten. Wir sind zu stolz, selbst um ihre Richter zu sein. Selbst das muten wir uns nicht zu. Vielleicht ist gerade das neue Denkart. Und nun helfen Sie uns! Wir sind heute das radikalste Reich der Welt. Wir sind eine Demokratie, die nicht nur formal besteht, sondern danach trachtet, daß (sic!) ganze Volk mit-tätig heranzuziehen: denn wir stehen an der Schwelle des sozialistischen Reiches.


Parteigenossen! Darin sind wir alle einig: Wir wollen unsere Schuld sühnen, indem wir auf dem Wege zum Sozialismus vorwärtsschreiten. Und nun reichen Sie uns die Hand! Verbünden wir uns gegen Ihre Feinde, die auch die unsern sind!
Bis zum Tode getreu der Sache der Freiheit, Menschlichkeit, des Sozialismus.
Wir haben keine Geduld mehr, unsere Träume vom Sozialismus in ferne Zeiten zu stellen; heute leben wir und heute wollen wir handeln. Handeln wir!!

Quelle: Eisner, Kurt: Rede Kurt Eisners auf der Arbeiter- und Sozialistenkonferenz in Bern, 3. bis 10. Februar 1919. Dienstag, 4.2.1919, vormittags, http://www.kurt-eisner-werke.org/III230.html.