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Essay

Essay

Flankierend zu den Themenfeldern der Produktion untersucht Michael Brenner (Professor für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians- Universität München) die These, welche Einfluss die Münchner Räterepublik auf den Antisemitismus der 1920er Jahre hatte.

Ernst Toller, die Münchner Juden und der Antisemitismus der Revolutionszeit

Michael Brenner


Ernst Toller wusste nur allzu gut, wovon er sprach. Bereits während des Krieges beschrieb er in seinem Drama Die Wandlung den Antisemitismus, den er als Kind in der preußischen Provinz Posen erlebt hatte. Der politische Umbruch 1918/19 sah zum ersten Mal in der deutschen Geschichte jüdische Politiker in verantwortlichen Regierungspositionen. Nirgendwo anders war dies so deutlich wie in Bayern, wo Kurt Eisner den Freistaat begründete. Neben ihm trat eine ganze Reihe prominenter Politiker jüdischer Herkunft, die mit ihrer Religion freilich seit langem gebrochen hatten, ins Rampenlicht. Unter den ohnehin durch die Dolchstoßlegende aufgehetzten Massen kristallisierte sich nun das Bild des jüdischen Revolutionärs heraus.

Quelle: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, F.Mon.2629


In Kurt Eisners Nachlass im Berliner Bundesarchiv befindet sich ein ganzes Konvolut wüster antisemitischer Hetzbriefe, adressiert an die „Hebräer-Residenz“ und den „König der Juden“, in denen auch zur Gewalt gegen die neuen Machthaber aufgerufen wird. Von Ausdrücken wie „Saujud“, „Dreckjud“ und „unbeschnittener Mistjud“ wimmelt es nur so. Und dass der gebürtige Berliner Kurt Eisner angeblich Salomon Kosmanowsky, Kruschnovsky oder Koschinsky geheißen und aus Galizien gestammt haben soll, dies glaubten nicht nur die bekannten antisemitischen Hetzer auf der Straße, sondern auch Erzbischof Michael Faulhaber und der päpstliche Nuntius Eugenio Pacelli, der später als Pius XII Papst werden sollte.


Immer mehr war nun von einer „Pogromstimmung“ auf Münchner Straßen zu hören. Der Orientalist Karl Süßheim notierte in sein Tagebuch: „Die Münchner Juden haben ganz klar Angst vor Pogromen. Weil Eisner von Geburt her Jude ist, ist ein Teil der Münchner Bevölkerung gegen ihn und gegen die Juden überhaupt aufgebracht.“ Manche Gemeindemitglieder wandten sich gar direkt an Eisner und baten ihn zurückzutreten, um die jüdische Gemeinschaft nicht in Gefahr zu bringen. Eisner hatte darauf eine klare Antwort: „Ich bin nicht der Min.Präs. von Bayern, weil mir das Vergnügen macht; ich werde den Tag segnen, wo ich es nicht mehr bin; aber ich bin der Schöpfer und Repräsentant dieser wunderbarsten aller Freiheitsbewegungen, und damit ist es meine Pflicht als lebendiges Symbol auszuharren. Das hätte sich wahrhaftig gelohnt, diese gewaltige Umwälzung zu erkämpfen, wenn der neue Geist darin bestehen wollte, darauf Rücksicht zu nehmen, welcher Herkunft dieser oder jener leitende Mann ist. Ich habe größere Sorgen als auf solche ‚Taktfragen’ einer überwundenen Zeit nur einen Augenblick Rücksicht zu nehmen. Nichts für ungut. Gez. Kurt Eisner.“ Zwei Monate später wurde Eisner auf dem Weg zum Bayerischen Landtag, seine Rücktrittserklärung in der Jackentasche, ermordet.
Auch von Toller und seinen jüdischen Mitstreitern distanzierte sich viele offizielle Vertreter der jüdischen Gemeinde. Sie hatten wohl dieselben Ängste, die der Moskauer Oberrabbiner äußerte, nachdem der als Lew Bronstein geborene Trotzki in der Russischen Revolution Furore machte: „Die Trotzkis machen die Revolution, und die Bronsteins zahlen den Preis dafür.“ So sah es auch der jüdische Kommerzienrat Sigmund Fraenkel, Vorsteher der orthodoxen Synagoge Ohel Jakob, als er „am 6. April 1919, dem Vorabend des Pessachfestes 5679“ einen offenen Brief „an die Herren Erich Mühsam, Dr. Wadler, Dr. Otto Neurath, Ernst Toller und Gustav Landauer“ richtete. Wie Toller, dessen Flugblatt nur wenige Tage später auftauchte, war auch Fraenkel von der antisemitischen Hetze in Münchens Straßen dazu angetrieben worden, an die Öffentlichkeit zu gehen. Doch sein Zorn richtete sich gegen die Revolutionäre und zwar „nicht als verängstigter, um Eigentum und Besitz besorgter Kapitalist, sondern weil ich mich mit Stolz und aus innerster religiöser Überzeugung zu jener Glaubensgemeinschaft bekenne, der einstens Sie selber oder doch Ihre Eltern angehört haben.“ So „ruft das bodenständige bayerische Judentum durch mich heute Bayerns Bevölkerung zu: Unsere Hände sind rein von den Greueln des Chaos und von dem Jammer und Leid, das Ihre Politik über Bayerns zukünftige Entwicklung heraufbeschwören muß. Sie allein, und nur Sie tragen hierfür die volle Verantwortung.“ Als Jahre später der „gottlose Jude“ Erich Mühsam diese Zeilen in der Zeitung las, reagierte er aus seiner Gefängniszelle und verteidigte selbstbewusst seine eigene, aus dem Ethos der biblischen Propheten begründete jüdische Identität gegenüber dem Sprecher der jüdischen Orthodoxie: „Sie sehen, daß der Antisemitismus auch ohne uns fünf Juden, die Sie aus Zehntausenden herausangeln, Material genug findet, um seine trüben Geschäftchen zu treiben. Aber ich bin der Ansicht, daß es dem Judentum selbst mehr zur Ehre gereicht, wenn ihm Idealisten und Märtyrer wie Rosa Luxemburg, Leo Jogiches, Gustav Landauer oder Eugen Leviné zum Vorwurf gemacht werden, als wenn sich die antisemitischen Materialsammler auf ihre täglichen Denunziationen von jüdischen Wucherern und Schiebern beschränken müssen. Dies war es, was ich dem Verteidiger des Judentums gegen seine entarteten Söhne zu sagen hatte.“


Ob der ebenfalls angesprochene Ernst Toller auch auf den Brief Fraenkels reagierte, wissen wir nicht. Der zunehmende Antisemitismus während der zwanziger Jahre entging ihm jedoch nicht. So berichtet in seiner später verfassten Autobiographie Eine Jugend in Deutschland von einem antisemitischen Zwischenfall während der Aufführung seines Dramas Hinkemann im Dresdner Staatstheater. Als ein Mann in der Loge als Folge der organsierten Störung des Stückes durch Nationalsozialisten zusammenbricht und einen Herzinfarkt erleidet, beugt sich einer der Störenfriede über ihn, „betrachtet sachkundig die gebogene Nase und wendet sich zu seinen Kumpanen: ‚Es ist nur ein Jud‘, sagte er. Die anderen toben weiter.“


Als Toller 1933 diese Zeilen niederschrieb, tobten die anderen bereits nicht nur im Theater weiter. Nun waren eben jene Kräfte, gegen die er sich in seinem Flugblatt vom April 1919 gemeldet hatte, im Deutschen Reich an die Macht gekommen und konnten ihrem Judenhass freien Lauf lassen. Ihren Ausgang genommen aber hatte ihr politischer Aufstieg im München der nachrevolutionären Zeit, als sie damit begonnen hatten, Pogrome zu üben.

Michael Brenner ist Professor für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians- Universität München. Dieser Text basiert auf seinem 2019 im Suhrkamp Verlag erschienenen Buch: Der lange Schatten der Revolution. Juden und Antisemiten in Hitlers München, 1918-1923.

Michael Brenner

Michael Brenner ist Professor für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians- Universität München. Dieser Text basiert auf seinem 2019 im Suhrkamp Verlag erschienenen Buch: Der lange Schatten der Revolution. Juden und Antisemiten in Hitlers München, 1918-1923.