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Digitales Programmheft „In Ordnung“

Tanzt die Verschiebung!

Ordnung ist nicht gut oder schlecht. Sie gibt Halt, gibt Struktur, gibt Sicherheit – und gleichzeitig kategorisiert Ordnung, schließt ein und schließt aus, begrenzt.

Das Ensemble von „In Ordnung“, bestehend aus 16 Schauspieler*innen, oszilliert zwischen dem Entlastenden der Ordnung und dem Bedürfnis nach Ausbruch aus ihr. Wie kann Freiheit in Ordnung gefunden werden? Wie kann sich eine Gruppe so ordnen, dass in ihr alle vorkommen können?

Bestehende Ordnungssysteme werden tänzerisch untersucht, hinterfragt und sich angeeignet. Das Ensemble erforscht neue Ordnungen, gibt sich dem Chaos hin, und verschiebt, verschiebt, verschiebt – die Bühne, sich selbst, und die gesellschaftliche Ordnung.

Das Bühnenbild und das Kostüm bestehen zum größten Teil aus transformierten Materialien aus dem Fundus. Das Ensemble setzt sich in Verhältnis zu den Kostüm- und Bühnenteilen der Vergangenheit. Denn unsere Ordnung findet nicht im luftleeren Raum statt. Sie reiht sich ein in Geschichte, reproduziert diese entweder oder schafft etwas Neues.

In der Chaostheorie gibt es den sogenannten Schmetterlingseffekt. Er besagt, dass in nichtlinearen dynamischen Systemen nicht vorhersehbar ist, wie sich kleine Änderungen der Anfangsbedingungen langfristig auf die Entwicklung des Systems auswirken. Ein Ereignis findet statt und niemand weiß, was am Ende rauskommen wird. Der Schmetterlingseffekt kann auch als Metapher für dieses Stück gesehen werden. Wir verändern die Anfangsbedingungen und tanzen die Verschiebung. Ende offen.

„In Ordnung“ ist ein rauschhaftes Ensembletanzstück, das sich auf die Suche nach einer kollektiven Energie der Veränderung macht.

Hannah Saar (Dramaturgie)

„Kann in der besseren Welt vielleicht nur ankommen, wer die Annahme aufgibt zu wissen, wie diese bessere Welt aussehen wird?“

– Hans-Christian Dany, in: Schneller als die Sonne. Aus dem rasenden Stillstand in eine unbekannte Zukunft

Doris Uhlich (*1977 in Oberösterreich) studierte „Pädagogik für zeitgenössischen Tanz“ am Konservatorium der Stadt Wien. Seit 2006 entwickelt sie eigene Projekte. Mit ihren Produktionen stellt sie gängige Formate und Körperbilder infrage: Sie arbeitet mit Menschen mit unterschiedlichen Biografien und körperlichen Einschreibungen und befragt das klassische Ballett auf seine Übersetzbarkeit in zeitgenössische Kontexte hin. Sie öffnet die Tanzfläche für Menschen mit körperlicher Behinderung, zeigt die Potenziale von Nacktheit jenseits von einfacher Erotisierung und Provokation, untersucht auf vielschichtige Weise die Beziehung zwischen Mensch und Maschine oder setzt sich mit der Zukunft des menschlichen Körpers im Zeitalter seiner chirurgischen und genetischen Perfektionierung auseinander.

Für die Performance „Ravemachine“ (2016) hat Doris Uhlich gemeinsam mit dem Tänzer Michael Turinsky den Nestroy-Spezialpreis für „Inklusion auf Augenhöhe“ gewonnen. Die 2018 im Tanzquartier Wien uraufgeführte Produktion „Every Body Electric“ war 2019 u.a. zur Tanzbiennale in Venedig und zur Bienal Sesc de Dança in São Paulo eingeladen.

2020 hat Doris Uhlich bereits ein Stück an den Münchner Kammerspielen gezeigt. In „Habitat – pandemic version“ haben 13 Menschen aus München trotz der Unmöglichkeit der Begegnung während der Corona-Pandemie zusammen getanzt und sich auf eine Suche nach dem Zusammenhalt in der Vereinzelung begeben. In dem neuen Stück „In Ordnung“ arbeitet Doris Uhlich erstmalig mit einem Schauspiel-Ensemble.

Wie das immer so ist bei der Probenarbeit, viele Ideen schaffen es leider nicht ins Stück. Wie zum Beispiel diese Texte.

Das Gespenst der Ordnung

Ordnung ist nicht nur das halbe Leben, sondern auch die ganze Gesellschaft. Einen Haufen von Individuen würde keinen sozialen Verband formen. Was aber sind Ordnungen? Sind sie der Welt abgetrotzt oder eine genuine Kulturtechnik?

Was ist die Chaostheorie?