MK:

INTERNATIONALER FRAUENKONGRESS

DEN HAAG 28. April – 1. Mai 1915

I. DIE FRAUEN UND DER KRIEG.

1 Protest.

Wir Frauen, zu Internationalem Kongresse versammelt, protestieren gegen den Wahnsinn und die Gräuel des Krieges, der nutzlos Menschenopfer fordert und vielhundertjährige Kulturarbeit der Menschheit zerstört.

2 Leiden der Frauen im Krieg.

Dieser Internationale Frauenkongress protestiert gegen die Auffassung, dass Frauen unter einer modernen Kriegsführung geschützt werden können.

Er protestiert auf Entschiedenste gegen das furchtbare Unrecht, dem Frauen in Kriegszeiten ausgesetzt sind, und besonders gegen die entsetzlichen Vergewaltigungen von Frauen, welche Begleiterscheinungen eines jeden Krieges sind.

II. ZUM KÜNFTIGEN FRIEDEN

3 Friedensschlüsse.

Dieser Internationale Kongress von Frauen der verschiedenen Nationen, Klassen, Parteien und Glaubensrichtungen, ist einig im Ausdruck reinen Mitgefühls mit den Leiden Aller, die unter der Last des Krieges für ihr Vaterland arbeiten und kämpfen, gleichviel welcher Nation sie angehören.

Da die Völker aller im Kriege befindlichen Länder glauben, keinen Angriffskrieg zu führen, sondern zur Selbstverteidigung und für ihre bedrohte nationale Existenz zu kämpfen, können keine unversöhnbare Gegensätze zwischen ihnen bestehen. Ihre gemeinschaftlichen Ideale bieten eine Grundlage, auf der ein gerechter und ehrenhafter Friede aufgebaut werden kann. Der Kongress fordert daher die Regierungen aller Welt auf, das Blutvergießen zu beenden und Friedensverhandlungen zu beginnen. Er fordert, dass der dann folgende Friede ein dauerhafter sei, deshalb auf Grundsätzen der Gerechtigkeit aufgebaut werde, wie sie in den Beschlüssen dieses Kongresses zum Ausdruck gebracht sind, nämlich:

Dass kein Gebiet ohne die Einwilligung seiner männlichen und weiblichen Bevölkerung übertragen werde, und dass das Eroberungsrecht nicht anerkannt werden soll.

Dass keinem Volke die Autonomie und ein demokratisches Parlament verweigert werde.

Dass die Regierungen aller Nationen übereinkommen, alle künftigen internationalen Streitigkeiten einem Schiedsgericht oder einer Vermittlung zu unterwerfen und dass sozialer, moralischer oder wirtschaftlicher Druck über ein Land verhängt werden soll, das zu den Waffen greift.

Dass die auswärtige Politik unter demokratische Kontrolle gestellt werde.

Dass Frauen die gleichen politischen Rechte wie Männern gewährt werden.

4 Ständige Vermittlung.

Dieser Internationale Frauenkongress beschließt, die neutralen Länder aufzufordern, sofort Schritte zu unternehmen, um eine Konferenz neutraler Staaten einzuberufen, die unverzüglich ständige Vermittlungsbereitschaft anbieten soll.

Die Konferenz soll alle kriegführenden Länder auffordern, Anregungen zum Ausgleich zu geben und soll – für alle Fälle – allen zur gleichen Zeit billige Vorschläge zu machen, die als Grundlage für den Frieden dienen können.

III. GRUNDSÄTZE FÜR EINEN DAUERNDEN FRIEDEN.

5 Anerkennung der Volksrechte.

Dieser internationale Frauenkongress erklärt in Anerkennung des Rechts der Völker auf Selbstbestimmung, dass kein Gebiet ohne Einwilligung seiner männlichen und weiblichen Bevölkerung übertragen werden soll, d.h. dass kein Eroberungsrecht anerkannt werde und dass keinem Volk Autonomie und ein demokratisches Parlament verweigert werde.

6 Schiedsgerichtliche Austragung und Vergleich.

In der Überzeugung, dass Krieg die Verneinung von Fortschritt und Zivilisation bedeutet, fordert dieser internationale Frauenkongress die Regierungen aller Länder auf, zu einem Übereinkommen zu gelangen, auf Grund dessen alle künftigen internationalen Streitigkeiten einem Schiedsgericht oder einer Vermittlung zu unterstellen sind.

7 Dieser Internationale Frauenkongress fordert von den Regierungen aller Nationen ein Übereinkommen, nach welchem sie sozialen, moralischen oder wirtschaftlichen Druck über ein Land verhängen, das zu den Waffen greift, statt seinem Fall einem Schiedsgericht oder Vergleich zu unterwerfen.

8 Demokratische Kontrolle auswärtiger Politik.

Da Krieg gewöhnlich nicht durch die Volksmassen verursacht wird, die ihn nicht wünschen, sondern durch einzelne Interessengruppen, fordert dieser Frauenkongress, dass die auswärtige Politik unter demokratische Kontrolle gestellt werde. Er erklärt, dass er als demokratisch nur ein System anerkennt, welches die gleiche Vertretung von Männern und Frauen umfasst.

9 Die Gleichberechtigung der Frau.

Da der zusammenwirkende Einfluss der Frauen aller Länder einer der stärksten Faktoren zur Vermeidung des Krieges ist und da Frauen nur dann volle Verantwortung und wirksamen Einfluss ausüben können, wenn sie die gleichen politischen Rechte wie die Männer haben, fordert dieser Internationale Frauenkongress die politische Gleichberechtigung der Frauen.

IV. INTERNATIONALES ZUSAMMENWIRKEN.

10. Dritte Haager Konferenz.

Dieser internationale Frauenkongress dringt darauf, dass die dritte Haager Konferenz unverzüglich nach dem Kriege einberufen werde.

11. Internationale Organisation

Dieser Internationale Frauenkongress fordert, dass die Organisation einer Vereinigung der Nationen auf der Grundlage aufbauenden Friedens gestaltet werde und Folgendes umfasse:

a Das Haager Schiedsgericht werde durch einen dauernden internationalen Schiedsgerichtshof erweitert, der alle Fragen oder Differenzen juristischer Art, wie sie z.B. aus der Auslegung von Vertragsrechten oder des Völkerrechts entstehen, erledigen soll.

b Zur Fortentwicklung des aufbauenden Werkes der Haager Konferenz soll eine ständige internationale Konferenz organisiert werden, mit regelmäßigen Sitzungen, an denen auch Frauen teilnehmen sollen, nicht zur Regelung der Kriegführung, sondern zum praktischen Ausbau internationaler Zusammenarbeit zwischen den Staaten. Diese Konferenz soll derartig organisiert sein, dass sie Grundsätze der Gerechtigkeit, Billigkeit und guten Willens aufzustellen und durchzusetzen im Stande ist, durch welche die Kämpfe unterdrückter Gemeinwesen voll anerkannt und die Interessen und Rechte nicht nur der Großmächte und der Mittelstaaten, sondern auch der schwächeren Länder und der Naturvölker durch eine aufgeklärte öffentliche Meinung allmählich geregelt werden können.

Diese internationale Konferenz soll einen ständigen Vermittlungs- und Untersuchungsrat einsetzen, der die aus wirtschaftlichem Wettbewerb, Ausdehnung des Handels, Überbevölkerung und Veränderungen sozialer und politischer Lage entstehenden internationalen Streitigkeiten schlichten soll.

12. Allgemeine Abrüstung.

Da dieser Internationale Frauenkongress allgemeine Abrüstung empfiehlt und sich bewusst ist, dass diese nur durch ein internationales Übereinkommen erreicht werden kann, fordert er als einen Schritt zu diesem Ziel, dass alle Länder, auf Grund internationalen Abkommens die Fabrikation von Waffen und Munition verstaatlichen und deren internationalen Handel unter Aufsicht stellen. Der Kongress sieht in der Ausschaltung der Privatinteressen an der Waffenfabrikation ein wichtiges Mittel zur Abschaffung der Kriege.

13. Handel und Kapitalanlagen.

a Dieser Internationale Frauenkongress fordert Handelsfreiheit und dass für die Schifffahrt aller Nationen die Meere frei und die Handelsstraßen unter gleichen Bedingungen offen sein sollten.

b Da die Kapitalanlage aus einem Lande in den Unternehmungen anderer Länder und die daraus entspringenden Ansprüche eine reiche Quelle internationaler Verwicklungen sind, dringt dieser Internationale Frauenkongress auf die weitestgehende Annahme des Grundsatzes, dass solche Anlagen auf Gefahr des Investierenden gemacht werden, ohne Anspruch auf offiziellen Schutz seiner Regierung.

14. Auswärtige Politik der Völker.

a Dieser Internationale Frauenkongress fordert, dass alle Geheimverträge für nichtig erklärt werden und dass zur Ratifizierung künftiger Verträge die Mitwirkung mindestens der gesetzgebenden Körperschaft jedes Staates notwendig gemacht werde.

b Dieser Internationale Frauenkongress empfiehlt die Schaffung nationaler Kommissionen und die Einberufung internationaler Konferenzen zu wissenschaftlichen Studien und zur Ausarbeitung von Grundsätzen und Bedingungen für einen dauernden Frieden, zur Entwicklung einer internationalen Föderation.

Diese Kommissionen und Konferenzen, an denen auch Frauen teilzunehmen haben, sollten von den Regierungen unterstützt werden.

15. Die Frauen in nationaler und internationaler Politik.

Dieser Internationale Frauenkongress erklärt es für unumgänglich, sowohl national wie international den Grundsatz in die Praxis umzusetzen, dass die Frauen alle bürgerlichen und politischen Rechte und Verantwortungen unter gleichen Bedingungen tragen sollten wie die Männer.

V. DIE ERZIEHUNG DER KINDER.

16. Dieser Internationale Frauenkongress betont die Notwendigkeit, die Erziehung der Kinder so zu leiten, dass ihr Denken und Wünschen auf das Ideal aufbauenden Friedens gerichtet wird.

VI. DIE FRAUEN UND DER FRIEDENSSCHLUSS.

17. Dieser Internationale Frauenkongress fordert, dass im Interesse dauernden Friedens und der Zivilisation die Konferenz zur Feststellung der Friedensbedingungen nach dem Kriege eine Resolution annehmen soll, welche die Notwendigkeit der politischen Gleichberechtigung der Frauen für alle Länder betont.

18. Dieser Internationale Frauenkongress fordert, dass Vertreter des Volkes an der Konferenz teilnehmen sollen, in welcher die Friedensbedingungen nach dem Krieg festgesetzt werden, und fordert, dass auch Frauen unter diesen Vertretern teilnehmen.

VII. DURCHFÜHRUNG DER BESCHLÜSSE.

19. Die Frauen beim Friedensschluss.

Dieser Internationale Frauenkongress beschließt die Abhaltung eines internationalen Frauenkongresses am selben Ort und zur selben Zeit, wenn die Konferenz der Mächte zur Feststellung der Friedensbedingungen tagt, um diese praktischen Vorschläge zu unterbreiten.

20. Deputationen zu den Regierungen.

Um die Regierungen der Welt zu veranlassen, dem Blutvergießen ein Ende zu machen und einen gerechten und dauernden Frieden zu schließen, entsendet dieser Internationale Frauenkongress Deputationen, welche die in den Resolutionen niedergelegte Botschaft den Oberhäuptern der kriegführenden und neutralen Staaten Europas und dem Präsidenten der Vereinigten Staaten Nordamerikas überbringen sollen.

Diese Deputationen sollen vom internationalen Komitee dieses Kongresses aus Frauen sowohl der neutralen wie der kriegführenden Länder zusammengestellt werden. Sie sollen über das Resultat ihrer Sendung dem Internationalen Frauenkomitee für dauernden Frieden Bericht erstatten.