MK:

Lauf durchs Feuer

Die Regisseurin Tea Tupajić im Gespräch über ihre Produktion „Licht“.

Interview: Olivia Ebert

MK: In „Licht“ erzählen jesidische Frauen ihre Geschichte auf der Bühne des Schauspielhauses. Was war der Auslöser für dieses Projekt?

Tea Tupajić: Die Geschichte der jesidischen Frauen ist zu einer paradigmatischen Geschichte der Verbrechen gegen den weiblichen Körper in der heutigen Zeit geworden. Während Vergewaltigungen seit jeher mit Konflikten einhergingen, nahm der Einsatz sexueller Gewalt als Instrument systematischer Einschüchterung vor allem im 20. Jahrhundert zu. Vor allem aufgrund der schwachen Politik des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, gibt es für systematische sexuelle Gewalt noch immer keine angemessenen juristischen Verfahren.

Ich selbst habe von dem Völkermord an den Jesiden, der sexuellen Gewalt und Versklavung der Frauen wie die meisten Menschen erfahren – durch die Medien. Zu dieser Zeit war ich gerade dabei, meinen ersten abendfüllenden Film „Darkness There and Nothing More“ zu drehen. Der Film handelte vom Bosnienkrieg in meiner Kindheit. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich nach der Fertigstellung des Films von der spezifischen Strafe, zu der ich mich selbst verurteilt hatte, um meine Schuldgefühle als Überlebende zu kompensieren, würde befreien können: sich mit Kriegen, Massakern und Schrecken zu beschäftigen. Ich hatte genug und wollte mich dem Feigenanbau in meinem Garten widmen.

Da entdeckte ich an einem Nachmittag beim Googeln „Fragen und Antworten zur Gefangenen- und Sklavennahme“, ein Dokument des Islamischen Staates in Irak und Syrien (ISIS), das im Herbst 2014 veröffentlicht wurde. Ich verbrachte nicht viel Zeit damit, ich erinnere mich, dass mir leicht übel wurde, aber ich machte weiter mit meinen Sonntagsplänen. Während der Woche kam ich immer wieder darauf zurück. Beim Spazierengehen, beim Abwaschen, beim Busfahren … Es blieb wie ein betäubender Schmerz, und ehe es mir bewusst wurde, verstärkte sich der Schmerz und – es war eigentlich nicht meine Zeit im Monat – verwandelte sich in eine Blutung.

Ich selbst hatte nie eine Vergewaltigung oder irgendeine Art von sexueller Gewalt erlebt, aber dennoch berührte der Text einen Schmerz in mir, den ich nicht benennen konnte.

Ich beschloss im Stillen, ihm zu vertrauen und zu erkunden, wohin er mich führen könnte.

MK: Du arbeitest oft mit dokumentarischen Formen, sowohl als Filmregisseurin als auch im Theater. Warum hast du dich diesmal für das Theater als Medium entschieden?

TT: Als ich die Frauen zum ersten Mal traf, war die schwierigste Frage für mich: Warum Theater? Ich habe immer geantwortet, dass ich trotz der ganzen Medienaufmerksamkeit nicht glaube, dass die Welt ihre Geschichte wirklich gehört hat, und dass man ihre Geschichte nur hören kann, wenn man sie am eigenen Leib erfährt. Dass das Theater vielleicht der einzige Ort ist, an dem man die Geschichte wirklich hören kann. Gerade das Theater als Medium, in dem ein Lebewesen sich mit einem anderen Lebewesen austauscht, ist der einzige Raum, in dem eine so intime Begegnung möglich ist, dass man nicht wegschauen kann, wie Ingmar Bergman sagt.

Es ist ein Raum des tiefen Zuhörens, in dem der Betrachter auch zum Zeugen wird.

Ich hatte ethische Fragen an mich selbst. Ich wusste nicht, ob ich die Frauen nicht ihrem Albtraum ausliefere, nur weil ich glaube, dass wir einen Sinn und eine Transzendenz für diese Albträume finden, indem wir sie in ein Kunstwerk verwandeln. Und wer interessiert sich schon für Kunst? Außerdem denke ich, dass Theater weder etwas mit Therapie noch mit der Schaffung eines sicheren Raums zu tun hat.

Ich habe einige Antworten gefunden, indem ich erkannte, dass es eine merkwürdige Verbindung zwischen Theater und Sterblichkeit zu geben scheint.

Auf der einen Seite ist das Theater der äußerste Ausdruck der Banalität und Vergeblichkeit unseres Lebens. Was auf der anderen Seite ist, wissen wir nicht. Vielleicht ist es das, wonach ich in „Licht“ suche.

MK: Das Projekt erfordert eine hohe Sensibilität und Flexibilität vom Theater. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit?

TT: Schon früh im Prozess habe ich mich dafür entschieden, dass dieses Werk von Theatern und Festivals mit einer weiblichen künstlerischen Leiterin produziert und präsentiert werden soll. Ich habe unsere Zusammenarbeit nicht von vornherein zu streng ausgelegt, mit Plänen für große Symposien und Manifeste. Ich wollte vielmehr eine Situation schaffen, in der wir voneinander lernen und zusammenarbeiten können, und habe darauf vertraut, dass sich das richtige Format schon finden wird.

Als Teil des Prozesses haben wir das gesamte Personal der Münchner Kammerspiele eingeladen, gemeinsam einen Bühnenvorhang zu gestalten. Auf den Vorhang sticken sie von Hand die Sternenkonstellation des Himmels in der Nacht der Premiere. In jeden Stern hat eine Person ein Bild von dem gestickt, was in ihr steckt und sie hätte töten können. Der Entstehungsprozess war eine berührende Erfahrung, bei der man Zeit miteinander verbrachte und persönliche Geschichten erzählte.

MK: Wie probst du diese Arbeit, wie bereitet ihr die Aufführung vor?

TT: In gewisser Weise ähnelt unser Prozess einer Vorbereitung für einen Lauf durchs Feuer. Das Laufen selbst wird nicht geprobt, es geschieht in der Aufführung.

Schon früh schlug unsere Produktionsleiterin und Dramaturgin Katrina Mäntele vor, das Wort Probe zu vergessen und stattdessen das Wort Vorbereitung zu verwenden. Nach drei Jahren verschiedener Vorbereitungen würde ich also sagen, dass wir fast bereit sind für das Unbekannte, das am 23. Februar passieren wird.

Tea Tupajić, geboren 1984 in Sarajevo, studierte Theaterregie in Zagreb. Sie realisierte Arbeiten im Bereich Film, Tanz, Performance und Installation.