MK:

queerwashing (don’t do it)

STEFAN: das ist kein echter Ball

EDITH: das ist keine Pride Parade, das ist kein Drag Race

TOMEK: nicht so schnell meine Liebe

JUSTYNA: nie tak szybciutko meine Schätzelein

TOMEK: nie tak od razu taki lgbtqia shit in da cluuub

STEFAN: DEN GROSSMÜTTERN ZUERST DANKEN

EDITH: Der echte Ball ist 1869, NY, Harlem, Hamilton Lodge,

TOMEK: Der echte Ball heißt offiziell “Schwuchtelball” - das kannst du den Kindern sagen

STEFAN: Der echte Ball muss am königlichen Hof stattfinden

TOMEK: Bei Wladyslaw Warneńczyk, bei Boleslaw dem Kühnen, bei Jakob Sobieski, der in Männer verliebt war, “bis er Angst bekam”

STEFAN: bei Friedrich dem Großen von Preußen…

EDITH: Der echte Ball ist ein flüchtiger Blick auf ein Märchen

JUSTYNA: Der echte Ball besteht aus Butches, Dykes, Cioty, Sissies, Wolves, Fairies, Pocieraczki, warmen Brüdern, Saffonki, Tunten, Friends of Dorothy…

TOMEK: Der echte Ball ist eine Enklave

STEFAN: der echte Ball ist eine Frage des Überlebens

EDITH: und der echte Ball vergisst das nie

STEFAN: Das ist echtes masquerade, echtes dancing

TOMEK: Der echte Ball findet Anfang des 20. Jahrhunderts in Berlin statt

STEFAN: im Filarmonia -

EDITH: im Hotel König von Portugal -

STEFAN: im Trans Club Eldorado -

EDITH: Eintritt nur 1,50 D-Mark

JUSTYNA: Oder vielleicht findet der echte Tuntenball in Warschau statt, wo ein französisches Unternehmen öffentliche Toiletten in Form eines Pilzes baut

TOMEK: Der echte Ball ist die Demonstration von 1892 rund um ‘Le champignon’!

STEFAN: Der echte Ball findet statt, wenn Männer verschiedener Klassen und sozialer Gruppen in einem kleinen Blechschuppen eine flüchtige Intimität teilen

EDITH: Der echte Ball ist in Parks, Saunen und öffentlichen Toiletten

STEFAN: Der echte Ball sind cruising points in London, Paris, Warschau, Berlin, München, Baden-Baden, Busko Zdrój

JUSTYNA: Der echte Ball ist die Königinnen Barbela, Chamka, Podkasana, Pani Kuglewska, Josephine Baker …

TOMEK: Der echte Ball entsteht auch im Namen der Menschen, die von der Sexarbeit leben, die aus den Fabrikvierteln, Heimen und Nachtasylen sind

STEFAN: und der echte Ball vergisst das nie

EDITH: Der echte Ball ist der offen lesbische Literatursalon von Eva Kotchever in Manhattan

JUSTYNA: Der echte Ball muss in München im Jahr 1920 sein, im Harmonie und in der Herrenbühne, wo alle anständigen bayerischen Homosexuellen Lederhosen tragen

TOMEK: Der echte Ball wird von der großen Ciota, der slawischen Göttin organisiert, die 1932, fast 40 Jahre vor den Deutschen, die Homosexualität entkriminalisierte

EDITH: Prawdziwy ball ist 1919, als Magnus Hirschfeld das Institut für Sexualwissenschaft gründet

STEFAN: Prawdziwy ball ist eine sehr fleißige Herstorikerin in einer Dezembernacht 1927 in Warschau auf der Polizeiwache:

JUSTYNA: “17 Homosexuelle verhielten sich in der Haft absolut frei und sogar einwenig kokett. Sie verlangten Lippenstift, Puder, Parfüm und Schokolade. Am Abend veranstalteten sie eine lärmende Demonstration und beendeten den Tag mit einem Ball. Abends fingen sie an, im schummrigen Licht der Gefängnislampen zu tanzen”

EDITH: Officer, ich vermute, das dies hier ein echter Ball ist

STEFAN: Officer, ich vermute, das dies hier ein echter Ball ist

TOMEK: Officer, das ist erst der Anfang der staatlichen Mobilmachung der moralischen Kontrolle

JUSTYNA: Ich weiß, und ich habe wirklich Angst

EDITH: Aber der echte Ball wird in den 1930er Jahren beendet

STEFAN: Eve Kotchever wird deportiert

TOMEK: Das Eldorado wird in ein Gebäude für die Sturmabteilung umgewandelt

EDITH: Nazi-Studenten verbrennen die Bibliothek vom Institut für Sexualwissenschaft

STEFAN: die „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung“ wird gegründet

JUSTYNA: Der echte Ball ist, wenn Leute, die den Ball hassen, in ihren Kriegserinnerungen schreiben

TOMEK: dass die lesbische Liebe im KZ in Ravensbrück wie eine Seuche andauert, wie eine Flamme, wie Leidenschaft und alles mitreißt

JUSTYNA: Der echte Ball findet statt, als sich Stefan Kosinski im Jahr 1941 im besetzten Toruń in Willi, einen Wehrmachtssoldaten, verliebt

EDITH: Der echte Ball findet dann in einem Schuppen weit weg von der Stadt Torun statt, wo sie ihre gemeinsame Zukunft planen.

JUSTYNA: Der echte Ball findet statt, wenn sie das neue Jahr in diesem Schuppen feiern, es ihre erste gemeinsame Nacht sein soll

EDITH: Der echte Ball findet vielleicht statt, wenn sie tanzen

JUSTYNA: Oder vielleicht findet er statt, wenn sie Champagner aus dem Offizierskasino trinken, und vielleicht tanzen sie noch ein bisschen, vielleicht wissen sie schon, dass dies ihr letzter gemeinsamer Ball ist, bevor der eine an die Ostfront geschickt wird und der andere von der Gestapo verurteilt wird

STEFAN: Auf dem echten Ball wird die Frage gestellt: Wann ist das Leben wert, betrauert zu werden?

TOMEK: Der echte Ball existiert, obwohl es an vielen Orten in Europa kein einziges Denkmal für die queeren Opfer des Nationalsozialismus gibt

STEFAN: Der echte Ball ist ein Tabu

EDITH: Der echte Ball existiert, auch wenn es in der Volksrepublik Polen „keine Homosexualität gab“.

JUSTYNA: Der echte Ball ist, wenn zwei Lehrerinnen in Starachowice zusammenleben… Jeder weiß es, aber niemand sagt was

TOMEK: Weil der echte Ball im Kommunismus spielt sich in der Zivilisation privater Räume ab

JUSTYNA: Zum echten Ball kannst du die unseren einladen, unsere Bekannten, unsere Tanten, unsere Freund*innen und unsere Schwestern

TOMEK: Der echte Ball findet in orientierten Lokalen statt: im Oskar Club in Wrocław, im Retro in Zielona Góra, im Amateur in Nowy Świat….

EDITH: Auf einem echten Ball in den späten 80er Jahren erscheint das Wort „gay“ zum ersten Mal in Polen

TOMEK: Und die echten Gay balls in den USA sind in Chicago im Club Chesterfield, in New Orleans im Wonderclub

EDITH: Toto, ich habe das Gefühl, wir sind nicht mehr in Kansas”

STEFAN: Trotz der Überwachung und Erpressung durch die polnische Operation Hyazinth und durch des Lavender Scare in den USA breitet sich der echte Ball immer weiter aus

TOMEK: Der echte Ball ist als Ryszard Kisiel beschloss, nichts mehr zu verbergen, und die Schwulenzeitschrift „Filo gründete:

EDITH/TOMEK: Wer soll uns helfen, wenn nicht wir selbst?

JUSTYNA: Der echte Ball existiert trotz des geteilten Landes

TOMEK: Der Echte Ball findet in Westdeutschland in Schwulenbars statt, in der Teddy Bar in München oder im Mylord für Lesben

STEFAN: Der echte Ball ist Charlotte von Mahlsdorfs Salon versteckt in ihrem Ostberliner Gründerzeitmuseum

EDITH: Der echte Ball auf der anderen Seite der Mauer ist Rosa Von Praunheims Film Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt

JUSTYNA: Der echte Ball ist 1980 die Gründung der Homosexuellen Aktions-Gruppe München

TOMEK: Der echte Ball sind die Stonewall Riots von 1969

EDITH: Der echte Ball findet in Straßen voller Drag Queens und Drag Kings statt

TOMEK: Der echte Ball findet im Jahr 1987 in der einzigen Grundschule in Bukowice statt, als Tomasz Tyndyk seine erste Lipsync zu Sabrina vorführt

EDITH: Und queen Crystal LaBeija veranstaltet den ersten richtigen Ballroom in Harlem, New York City, 1972

STEFAN: Das echte und erste Ballroom Haus ist das House of LaBeija

JUSTYNA: Der echte Ball sind die Wahlfamilien

STEFAN: Der echte Ball ist Paris Dupree, der den ersten, den legendären Paris Is Burning-Ball im Jahr 1981 hält

TOMEK: “I’m so into voguing right now”

EDITH: Der echte Ballroom ist nicht von Madonna erfunden

TOMEK: Der echte Ballroom ist kein Club-Move, den man nachahmt

STEFAN: Der echte Ballroom ist eine Feier der schwarzen queeren Kultur, aber auch ein Überlebensraum

JUSTYNA: Der echte Ballroom ist wie eine gute, vom Staat bezahlte Abtreibung

EDITH: Der echte Ballroom sammelt 400.000 Dollar für den Kampf gegen AIDS

TOMEK: Der echte Ballroom findet heute auch in Berlin, in Katowice, in Paris, und in Detroit, in Leipzig statt…

STEFAN: Diese queeren Kids, für die die echte Heimat immer nur irgendein Ball war

JUSTYNA: Der echte Ballroom sind all die Menschen, die in keinem Archiv zu finden sind, deren Namen man nie erfahren wird, denen es zu verdanken ist, dass die wenigen Namen, die überlebt haben, gesprochen, geschrien und geflüstert werden