MK:

Review zu "Licht"

Über : „Licht“

von Seraphin Flassig

Eine Stille steht im Zuschauer Raum. Eine Stille, weder ehrfürchtig noch erwartungsvoll, nein, unschlüssig. Auf der Bühne ist Nichts zu sehen als eine Art Kleiderständer, an dem eine Art Windspiel aufgebaut ist. Doch es steht dort in Stille. „Licht eins.“ Awaz Abdi betritt schreitend die Bühne. Sie aktiviert das Pendel, welches dumpf und bedächtig zwischen klackernden Kugeln und einem Klangstab hin und her schwingt. Dadurch wird eine teilweise wohlige teilweise bedrohliche Atmosphäre erzeugt. Eine zweite Frau stellt sich hinter ihr auf, als sie an die Rampe tritt. Stille. Das Publikum ist sich der Schwere des Abends bewusst und schweigt, so gut es als Masse eben schweigen kann. Schließlich setzt Awaz an, sie beginnt zu erzählen. Nicht von den Grausamkeiten, die sie erdulden musste, nicht von dem Schrecken der Flucht, nicht von dem, was man erwartet hatte. Nein sie nimmt uns mit auf das Dach ihres Hauses, auf dem sie neben ihrer Großmutter vor Jahren aufgewacht war und frühstücken wollte. Es ist nicht das Erste, was uns in den Sinn käme, wenn wir an den von der Terrororganisation Islamischer Staat verübten Genozid an den Jesiden denken. Aber für die beiden auf der Bühne Stehenden ist es ein Teil ihres Lebens. Kindheitserinnerungen. Und so berichtet Awaz von dem Tag, an dem der IS bis in ihre Ortschafft kam. Wie ihr Vater es nicht wahrhaben wollte, wie die Armee die Checkpoints verweist zurückließ und wie sie versuchten dem Unausweichlichen zu entfliehen. „In der Küche gab es zwei Türen. Eine zum Schlafzimmer von meinen Eltern und eine nach draußen.“ Zwischen solchen Beschreibungen jedes Mal Stille. In dieser denkt sich jeder Anwesende seinen Teil. Doch es kommen keine schwerbewaffneten Kämpfer durch die Tür gebrochen. Dies ist kein Hollywoodstreifen. Dies war Realität. Dies war ihre Realität. So lange erzählt Awaz von ihren Erfahrungen, bis sie, von den Erinnerungen überwältigt, abbricht und eine Pause verkündet.
Danach spricht Najlaa Matto, die Frau, welche zuvor immer stets mit auf der Bühne stand. Als Emotionale Stütze. Aber auch sie ist Jesidin, auch sie ist dem Völkermord entkommen. Nur sie beginnt anders: „Als ich Gefangen war, habe ich meinem Vergewaltiger gesagt, dass ich der ganzen Welt erzählen werde was passiert ist. Er hat gesagt: Wenn du noch etwas sagst, schneide ich dir die Zunge heraus.“ Ein schockierender Start, doch im restlichen ähnlich der Erzählung von Awaz. Nur gelegentlich wird die Stille gebrochen von Menschen, die die Vorstellung verlassen. Während Najlaa berichtet, wie sie auf der Suche nach Joghurt, Leute ansprach, die einmal ihre Nachbarn gewesen waren und mit dem IS akzeptierten. Wie sie sich mit ihrem Bruder versteckte, um nicht von den bärtigen Männern gefunden zu werden.
Alles in nur sehr leicht gebrochenen Deutsch und in einer Art von Sprache, die wenig Dramatik mitbringt. Keine Monologe mit Stilmitteln gespickt. Nichts, das spezifisch dazu entworfen wurde eine Träne aus dem Augenwinkel der Zuschauer zu locken. Und auch keine Möglichkeit die Stille aus dem Interview zu schneiden, nur um das scheinbar relevante herauszufiltern. Nein, die Echtheit ist was so schockiert. Doch auch sie wird von ihren Erinnerungen eingeholt. Sie schlägt die Hände vors Gesicht und schluchzt, Awaz umarmt sie, tröstet sie. Doch es bleibt zu viel Persönliches. Sodass sie ihre Erzählung abbricht. Als die Bühne sich verdunkelt, bleibt nur die betreten Stille zurück.

Ein in der Schwebe schockiertes Publikum schweigt, doch die Gedanken, sie schreien. Endlich treten die beiden jesidischen Frauen mit erleichtertem Lächeln zum Applaus auf die Bühne und das gesamte übrige Publikum erhob sich. Vielleicht nicht nur für das Klangobjekt, von Roel Meelkop, oder die Inszenierung von Tea Tupajić, oder die Thematik. Sicherlich aber für den Mut und die Kraft, welche die beiden Jesidinnen an diesem Abend bewiesen hatten. Hoffentlich behalten sie diese für die Fortführung, des Aufführungseposes, in dem sie versuchen, mit dieser strapazierenden Art von Theater, weiterzuerzählen. Und so jedes Mal eine völlig neue Sicht, auch von versiedenden Zeuginnen, die noch nicht zu Wort kamen, bieten. Von dem Völkermord, welcher, obwohl erst vor kurzem geschehen, schon aus der Erinnerung Vieler entschwunden ist.

Zum Autor:
Seraphin Flassig ist ein junger Student der Theaterwissenschaft an der LMU in München und auch Teil der Fachschaft, die im Rahmen des Theaterdonnerstags für Gruppen einen Vorstellungsbesuch in der Uraufführung von „Licht“ in den Kammerspielen organisierte. Dabei kam später diese Rezension.