MK:

Materialität in der Pflege – über Stifte, Fixierbänder und Kitteltascheninhalte

Materialität in der Pflege – über Stifte, Fixierbänder und Kitteltascheninhalte

Ein Text von Dorothea Thurner (Teilnehmerin am MK:Campus#3.2)

Über Stifte

Ich kam als Bundesfreiwilligendienstleistende auf eine Unfall- und Allgemeinchirurgische-Mischstation. Was von diesen ersten Tagen bleibt, ist ein Eindruck überwältigender Neuheit. Menschen und/in verschiedene(n) Funktionen, die einem begegnen, Dinge die da sind, Dinge die geschehen, einstürmende Reize, aufgeregte Anspannung und nicht ganz niederschwellige Überforderung.

In eine völlig neue Welt hineingeworfen, wurde ich in einen Kasack gekleidet, der sich noch fremd und ein wenig steif anfühlte. Mit leeren Taschen, frisch und »unbewaffnet«, begann ich beobachtend, all die neuen Eindrücke in mich aufzunehmen. Wie ich die Pflegefachpersonen mit ihren vollen, klimpernden Kitteltaschen, ihrer Professionalität und ihrer Ausstrahlung von Beherrschung der Situation bewundert habe!

Recht bald hat man mir eine Pflegefachperson, um irgendetwas auf- oder mitzuschreiben, einen Kugelschreiber in die Hand gedrückt: „den kannst du behalten“. Das erste Ding in meiner Kitteltasche, die jetzt nicht mehr leer war.

Ein diffuses Gefühl von Stolz, Erhebung, Hineingenommen-Sein und ein beginnendes Dazu-gehören stellten sich ein. Meine Kitteltaschen waren nicht mehr völlig leer. Ich habe damit begonnen Informationen zu binden und Dinge aufzuschreiben, die ich mir merken wollte, Fetzen aus Übergaben festzuhalten, die ich versucht habe zu verstehen und dich ich für wichtig hielt, Aufgaben zu notieren und bald schon Vitalzeichen festzuhalten, um sie weitergeben zu können. Meine Kitteltaschen füllten sich weiter und ich gewöhnte mich immer mehr an all das Neue, lernte Abläufe kennen, den sprachlichen Duktus der Station immer besser zu verstehen und mich selbst als Teil eines Teams einzuordnen und einzubringen.

Die Zeit verging und irgendwann war ich selbst examinierte Pflegefachperson. Im wahrsten Sinne so geworden, hatte ich den Habitus des Klinikalltags verleiblicht und lief mit klimpern-den Kitteltaschen, voll mit Zetteln, Stiften, Fixierband, Diensttelefon, Schere und Klemme über die Station.

Ich habe viele »Neue« (Praktikant*innen, Schüler*innen, Bufdis…) auf Station begrüßt und oft habe ich ihnen auch einen Stift gegeben um irgendetwas auf- oder mitzuschreiben: „den kannst du behalten“. Manchmal habe ich mich daran zurückerinnert wie sich das angefühlt hat - das erste Ding für die Kitteltasche zu erhalten. In solchen Momenten habe mich gefreut dieses Gefühl des Hineingenommen-Seins weiterzugeben; selbst Menschen hineinzunehmen.

Neben diesem Zugehörigkeitsgefühl stellt sich aber auch die Frage, was es zu bedeuten hat, dass Pflegende als minimalen gemeinsamen Nenner Stifte mitsichtragen. Stifte, mit ihrer „Aufgabe“ zu schreiben, zu notieren, zu dokumentieren. Wird aus der Pflege, als Profession der Fürsorge ein professioneller Dokumentierberuf?

„Was nicht dokumentiert ist, ist nie geschehen…“, aber ob es tatsächlich so geschehene Wirklichkeit ist, die regelmäßig dokumentiert wird, darf in Zweifel gezogen werden.

Letztlich appelliere ich nicht daran das Dokumentieren bleiben zu lassen, aber doch, es dort zu reduzieren, wo die sinnbefreite Fürsorge von Papier, vor einer sinnbehafteten Fürsorge um Menschen im Vordergrund steht.

…und Kitteltascheninhalte

Es zeigt sich, dass professionelle Pflege häufig nicht ohne Dinge (z.B. Fixierpflaster, Stifte, Antirutschsocken, Waschlappen, Hebehilfen, Perfusoren und Kombistopfen…), vollzogen wird. Obgleich diese Aussage relativ intuitiv erscheint, diskutieren Pflegende (und hier schließe ich mich als Gesundheits- und Krankenpflegerin mit ein) häufig die Interaktionen und Beziehungen zwischen den an der Pflege beteiligten Personen, ohne dingliche Gegebenheit zu analysieren.

Wenn der erste Satz jedoch intuitiv ist, hängt Pflege neben der Interaktionsgestaltung (und vielen weiteren Aspekten, die hier nicht einzeln aufgezählt und diskutiert werden können), beispielsweise auch von der Verfügbarkeit und Nutzung der Dinge ab, derer sich Pflege bedient.

Dahinter steht ein Potpourri an Fragen, wie beispielsweise: „welche Dinge werden wie und wie häufig verwendet? Wie unterscheidet sich die Nutzung dieser Dinge zwischen Pflegefachpersonen, Stationen, Bereichen, Settings oder auch international und warum? Wie erfolgt eine Sozialisation hinsichtlich der Nutzung von Dingen in der professionellen Pflege und welche Auswirkungen hat diese? Wie prägen die vorhandenen Dinge und die Art wie Sie genutzt werden Pflegehandlungen?“

Der Fragenkatalog könnte noch in viele Richtungen erweitert werden. Hier soll aber auf solche Dinge aufmerksam gemacht werden, die in Bereichen, in welchen Kittel als Berufskleidung vorgesehen sind, körpernah, also stets griffbereit, zur Ermöglichung respektive Unterstützung von professioneller Pflege mitgetragen werden.

Dorothea Thurner ist Gesundheits- und Krankenpflegerin – Studentin der Pflegepädagogik – Vereinsgründerin des neuen Vereins „Deutsche Nationalmannschaft Pflege e.V.“ (zuständig für Europa- und Weltmeisterschaften der Berufe – ja, so etwas gibt es auch für den Pflegeberuf)