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FUCK PATRIARCHY. BUT NOT FOR FREE

Unser Problem mit Sexarbeit ist Sexismus, nicht Paysex. Wie aber kann  feministische Sexarbeit funktionieren?

Von Maia Ceres

Einer der gesellschaftlich größten Vorbehalte gegen Sexarbeit ist, dass Sexarbeit Frauen* objektifiziere und damit abwerte. Es heißt, dass Frauen* zu Sexobjekten reduziert werden und dass Sexarbeit eine allgegenwärtige Verfügbarkeit weiblich* gelesener Körper und weiblicher* Sexualität für Männer* suggeriere.

Als Sexarbeiterin und Feministin halte ich diese Befürchtung grundlegend für nicht berechtigt.

Für mich ist klar, dass wir in einer sexistisch geprägten Gesellschaft leben. Als Frau* befinde ich mich qua Geburt in einer benachteiligten Position. Zwar werde nicht nur ich aufgrund meines Geschlechts während des gesamten Lebenslaufs mit Zuschreibungen über meine Persönlichkeit und Fähigkeiten konfrontiert. Aber mich treffen eher die Zuschreibungen, die mich in einer Leistungsgesellschaft auf einen Weg drängen, auf dem ich schlechtere Karriereaussichten habe, schlechtere Verdienstmöglichkeiten und auf dem mir generell weniger zugetraut werden darf und soll. Wenn ich mich dagegen wehre und mich zum Beispiel als durchsetzungsstark oder gewinnorientiert zeige, dann werde ich als Frau* abgewertet, weil ich keine Ideale repräsentiere, die traditionell mit einer sich unterordnenden Weiblichkeit* verknüpft werden. Schlimmstenfalls bin ich dann eine Zicke (weil durchsetzungsstark) und eine Karriereschlampe, die ihre Familie vernachlässigt (weil gewinnorientiert). Von mir wird erwartet, dass ich attraktiv bin, mich an den richtigen und damit an den meisten Stellen rasiere, mich schminke, langes, volles Haar habe, lächle und tendenziell eher freundlich und wenig konfrontativ auftrete. Da ich dies tue, werde ich aber auch abgewertet. Denn jetzt bin ich die oberflächliche Puppe, die sich nur für ihr Aussehen interessiert und gefallen will.

Das betrifft auch meine Sexualität. Die Erwartungen der Mehrheitsgesellschaft an meine weibliche* Sexualität sind für mich höchst widersprüchlich. Als Frau* werde ich ständig sexualisiert, soll nicht zu sexuell sein, aber bitte sexuell selbstbestimmt – jedoch nicht zu selbstbestimmt! Ich werde ständig auf mein Geschlecht reduziert, auf meinen Körper, auf meine Attraktivität oder Nicht-Attraktivität für Gruppen und Individuen. Mein Aussehen wird ohne mein Einverständnis öffentlich kommentiert und bewertet, zum Beispiel, auf der Straße oder in den sozialen Medien. Dabei wird auf einer Skala eingeordnet, ob ich sexy genug bin. Wobei ich schlecht bin, wenn ich zu sexy bin und schlecht bin, wenn ich nicht sexy genug bin. Ich soll gefallen, aber nicht so doll, dass ich eine Schlampe bin. Es wird von mir erwartet, dass ich mich gleichermaßen darbiete und entziehe. Glücklicherweise wird heutzutage nicht mehr erwartet, dass ich mir alles gefallen lasse und passiv bleibe. Ich darf mich gegen anzügliche Kommentare und Grapschereien wehren und empören (aber bitte nicht zu laut und aggressiv!) und mir wird weniger – aber immer noch! – dazu geraten, Übergriffe als Komplimente ad acta zu legen. So weit gehen die Zugeständnisse schon und ich bin sehr froh über jeden kleinen Schritt vorwärts.

Aber ich darf meine passive Rolle als Frau* auch noch nicht zu sehr verlassen. Ich kann nicht einfach sagen, dass ich viel Sex mit verschiedenen Menschen haben möchte, wenn ich das möchte. Zwar bin ich dann mindestens ein bisschen cool und auch sehr modern, aber halt auch eine Schlampe. Ich darf mittlerweile schon sexuelle Bedürfnisse haben, ohne gleich zur Hysterikerin gemacht zu werden. Aber ich soll diese Bedürfnisse bitte nur exklusiv ausleben. Wechselnde und zahlreiche Sexpartner*innen sind für mich als Frau* keine Trophäe, sondern ein Makel. Ich darf in einem begrenzten Rahmen Lust haben, aber nicht zu viel Erfahrung. Ich soll Schrödingers Pussycat sein: Sex, aber kein Sex.

Meine selbst gewählte und gern ausgeübte Arbeit als Escort sprengt hier gänzlich den Erwartungsrahmen der patriarchalen Doppelmoral. Denn hier treffe ich als Frau* eine aktive Entscheidung für Sexualität. Und ich entscheide mich nicht nur dafür, oft und mit vielen verschiedenen Menschen Sex zu haben, sondern auch noch dafür, es für Geld zu tun und zu meinem Beruf zu machen. Das entspricht nicht den Erwartungen an Passivität, nicht denen an Exklusivität und nicht einmal denen an Gefallsucht, denn gefallen kann ich nicht ohne die ersten beiden Kriterien.

Als Sexarbeiterin bin ich ein Fehler in einem sexistischen System einer auf Geschlechtsidentität basierenden Unterdrückung aller, die nicht cis-männlich* sind, eine Enttarnung tief verwurzelter patriarchaler Erwartungen in Sachen sexuelle Unterordnung und Selbstbestimmung.

Wenn ich mich dafür entscheide, Sex für Geld zu haben, dann bin ich alles andere als ein verfügbares Objekt. Vielmehr mache ich mir meinen Körper, meine Sexualität, meine Fähigkeiten und meine Zeit zu eigen und bestimme selbst, wer wann und zu welchen Konditionen daran teilhaben darf. Dabei verstehe ich auch nicht, warum das bedeuten soll, dass ich damit die Verfügbarkeit meines weiblichen* Körpers spezifisch für Männer* suggeriere. Denn meine Dienstleistungen stehen mitnichten nur Männern* zu Verfügung und ich würde mir wünschen, dass Menschen aller Geschlechtsidentitäten das Objektifizierungs-Stigma überwinden und sich für oder gegen sexuelle Dienstleistungen auf Grundlage von Bedürfnissen und nicht auf Grundlage von Erwartungen entscheiden können. Sexuelle Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, ist kein grundlegend anti-feministisches oder gar kriminelles Verhalten, sondern kann ein Schritt in Richtung einer Gesellschaft sein, die die sexuelle Selbstbestimmung aller anerkennt, wertschätzt und respektiert.

*Anmerkung der Autorin: Ich nutze das Gender-Sternchen (*), um in meinem Beitrag kenntlich zu machen, dass Kategorisierungen wie „Mann“, „Frau“, „weiblich“ und „männlich“ als soziale Konstrukte, die mit Erwartungshaltungen an die Repräsentation bestimmter Geschlechterrollen und -stereotype verknüpft werden, kritisch hinterfragt werden können.

Maia Ceres

Maia Ceres ist Escort, wissenschaftliche Referentin für Sexarbeit, politische Aktivistin für die Rechte von Sexarbeiter*innen und performt bei den Münchner Kammerspielen in „Joy 2022“

 

https://www.maiaceres.com/