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MK:

Podcast Female Peace Palace – Internationaler Frauenfriedenskongress von 1915

Erinnerungskultur und feministischer Widerstand bis heute

“For the master’s tools will never dismantle the master’s house. They may allow us temporarily to beat him at his own game, but they will never enable us to bring about genuine change. And this fact is only threatening to those women who still define the master’s house as their only source of support.” (2)

„For the master’s tools will never dismantle the master’s house. They may allow us temporarily to beat him at his own game, but they will never enable us to bring about genuine change. And this fact is only threatening to those women who still define the master’s house as their only source of support.“

Audre Lorde

Wenn ich mit Audre Lordes Worten im Kopf neuerlich auf das emblematische Foto der dreizehn Frauen blicke, stelle ich mir unweigerlich die Frage: Wer ist eingeladen, mit am Tisch zu sitzen und zu sprechen – und wer nicht? Was gerät aus meinem Sichtfeld, in dem Moment, in dem ich dieses Foto ansehe? Nicht nur die vielen Frauen, die im Publikum sitzen. Sondern all diejenigen, die überhaupt nicht anwesend sind, weil sie in Fabriken arbeiten oder die Häuser anderer Frauen putzen oder weil sie im kolonialen, rassistischen Denken von 1915 noch nicht einmal als Menschen gelten.

Womöglich reicht es nicht, möglichst viele einzuladen, mit am Tisch zu sitzen. Vielleicht geht es vielmehr darum, den Tisch selbst infrage zu stellen – dieses Symbol staatlicher, patriarchaler Macht. Wie sähe ein Friedenspalast ohne Tische aus; ein Friedenspalast ohne Insignien der Macht? Wie können andere Orte, andere Formen der Gemeinschaft und des Austausches entstehen?

Audre Lordes Worte ernst zu nehmen, heißt deshalb auch feministische Widerstandsbewegungen selbst zu befragen. Es gilt, nach den Ausschlüssen und blinden Flecken und den Privilegien der im Dierentuin versammelten weißen, bürgerlichen, westlichen Frauenrechtlerinnen zu fragen – Privilegien und Ausschlüsse und blinde Flecken, die mitnichten der Vergangenheit angehören.

Ja: Die Frauenrechtlerinnen tagen nicht im Friedenspalast. Doch sie tagen im nicht weniger pompösen Palast des Haager Tierparks. Dieser 1863 errichtete Bau aber ist – wie viele andere botanische und zoologische Gärten des 19. und 20. Jahrhunderts (3) – nicht denkbar ohne Kolonialismus; er ist Ausdruck einer kolonialen Aneignung der Welt. Auch dafür stehen die Palmen im Bildhintergrund. Und die dreizehn Frauen, für die sie das Dekor abgeben, haben bei aller feministischen Radikalität und Weitsicht kein Bewusstsein für den kolonialistischen Rahmen, in dem ihr Kongress stattfindet – oder zumindest kommt es nicht in ihren Forderungen zum Ausdruck. (4)

Es ist nicht viel mehr als ein Zufall, aber trotzdem: Der Ortswechsel vom Friedenspalast in den Tierpark und die Verschiebung der Wahrnehmung zwischen den beiden Fotos stehen als Sinnbild dafür, worum es im Podcast Female Peace Palace geht.

  • Was tritt zutage, wenn sich der Blickwinkel ändert?
  • Was entzieht sich der Sicht?
  • Was wird erinnert, wer vergessen?
  • Wie prägen Orte unser Denken; unsere Wahrnehmung; unsere Art, Widerstand zu leisten?

Podcast Female Peace Palace – die Folgen im Überblick

  1. Um feministische und anti-rassistische Kämpfe in Deutschland, um die Notwendigkeit intersektionaler Kämpfe und die Bedeutung von Audre Lorde geht es in meinem Gespräch mit Laura Freisberg von den Frauenstudien München, Modupe Laja vom Netzwerk Rassismus- und Diskriminierungsfreies Bayern e.V. und Diana-Sandrine Kunis vom Social Justice Institute München.
  2. Die Regisseurinnen Jessica Glause und Miriam Ibrahim befrage ich nach der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und dem kritischen Potenzial dieser Auseinandersetzung für die Gegenwart.
  3. Mit den Wissenschaftlerinnen Brigita Malenica und Olena Petrenko spreche ich über die Bedeutung von feministischem und weiblichem Widerstand, sowie über Krieg, Nationalismus und Geschlecht im Kontext der Balkankriege und des ukrainischen nationalistischen Untergrunds.
  4. Mit Eva Bahl von münchen postcolonial, dem Kurator Sebastian Huber und mit Sapir von Abel von ausARTen unterhalte ich mich über Zugänge zur Vergangenheit, die einer Vielfalt an Perspektiven Raum geben, und darüber, wie sich Erinnern und Vergessen mitunter miteinander verschränken.
  5. In meinem Gespräch mit den beiden Künstlerinnen Manuela Illera und Michaela Melián geht es um Denkmäler und Erinnerungskultur im öffentlichen Raum und über künstlerische Formen des Umgangs mit einer Geschichte der Gewalt.
  6. Wie die Zukunft der Erinnerung in Zeiten der Digitalisierung aussehen kann, und wie sich blinde Flecken und Ausschlüsse im Digitalen reproduzieren, darüber spreche ich mit der Datenjournalistin Katharina Brunner vom Forum Queeres Archiv München, mit Heike Gleibs von Wikimedia Deutschland und mit dem Archivleiter der Monacensia Thomas Schütte.

Photo: Benedikt Feiten

Fabienne Imlinger ist Literaturwissenschaftlerin und betreibt zusammen mit Martina Kübler den Podcast „Ich lese was, was du auch liest“. Sie forschte und lehrte an der LMU im Bereich der Gender und Postcolonial Studies. Für ihr Romanprojekt „Alles über meine Eltern“ erhielt Fabienne Imlinger das Literaturstipendium der Landeshauptstadt München 2021.

Quellen

(1) Siehe dazu: Ulrike Lembke (2015), Frauenfriedenskongress 1915 – auch ein Beitrag zur Geschichte des Pazifismus als Völkerrechtsidee, in: Archiv des Völkerrechts Bd. 53, Nr. 4.

(2) Audre Lorde (1983), ‘The Master’s Tools Will Never Dismantle the Master’s House’, pp. 94–101, in Cherrie Moraga and Gloria Anzaldua (eds), This Bridge Called My Back: Writings by Radical Women of Color (New York: Kitchen Table Press).

(3) Für einen Überblick zur Kolonialgeschichte botanischer Gärten siehe https://postcolonialpotsdam.org/2020/03/05/botanischer-garten-1/
und https://postcolonialpotsdam.org/2020/03/05/botanischer-garten-2/

(4) Die Juristin Ulrike Lembke weist darauf hin, dass der Frauenfriedenskongress in „seinen Beschlüssen zwar das Selbstbestimmungsrecht der Völker“ betont und „Besetzungen gegen den Willen der männlichen und weiblichen Bevölkerung“ verurteilt (Lembke, op.cit., S. 433). Mit diesen Besetzungen dürfte aber, so Lembke weiter, eher das zum damaligen Zeitpunkt von Deutschland besetzte Belgien gemeint sein. Interessant in diesem Zusammenhang ist der Vergleich mit dem 14-Punkte-Programm des US-amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson. 1918 skizziert er in einer Rede die Grundzüge einer Friedensordnung für die Zeit nach dem Krieg. Dieses 14-Punkte-Programm weist zahlreiche Überschneidungen mit den Beschlüssen des Frauenfriedenskongresses auf. Anders als jene aber spricht „Wilson explizit die Klärung kolonialer Ansprüche unter gleichberechtigter Einbeziehung der Interessen der betroffenen Bevölkerung an“ (Lembke, op.cit, S. 433).