Theaterkasse
Maximilianstraße 26-28
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+49 (0)89 / 233 966 00
theaterkasse@kammerspiele.de
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Die Regisseurin Emre Koyuncuoğlu über ihre Wiederentdeckung der türkischen Feministin, Kriegsreporterin und Pazifistin Halide Edip Adıvar (1884–1964), zu der sie im Rahmen des MK-Festivals „Female Peace Palace“ eine Performance entwickelt.
Drei Performerinnen werden Halide in meinem Stück repräsentieren, jede eine andere Lebensphase: ihre Jugend als gut ausgebildetes Mädchen aus einer osmanisch-bürgerlichen Istanbuler Familie, das überzeugende Artikel über Frauenrechte schreibt; ihre Zeit als Freiheitskämpferin im Unabhängigkeitskrieg während der Gründungsphase der türkischen Republik; ihre Zeit als Intellektuelle im Exil mit pazifistischen Zielen, die direkt von Ghandi beeinflusst waren, mit vielen Auftritten bei internationalen Konferenzen über politische Themen und Frauenrechte. In diesen verschiedenen Lebensphasen hat Halide leidenschaftlich für teilweise sich widersprechende Ziele gekämpft. Diese offene Widersprüchlichkeit und ihre natürliche Art, sich als Frau und als politischer Mensch weiterzuentwickeln, möchte ich auf die Bühne bringen, in allen historischen Umbrüchen: Ihr Schreiben als Intellektuelle, als eine Mutter von zwei Kindern, als Liebende; ihre starken, oft impulsiven Entscheidungen aus dem jeweiligen Moment heraus, das alles würde ich gern in meiner Performance für das Publikum erlebbar machen.
Ich benutze die brillante Halide-Biographie von İpek Çalışlar, aber auch Auszüge ihrer Texte, besonders aus ihren zwei Theaterstücken und den zwei Versionen ihrer Memoiren. Und natürlich Auszüge aus Halides Romanen, besonders aus denen, die starke Protagonistinnen haben, die ihr augenscheinlich ziemlich ähnlich sind. Halide war eine Feministin und gleichzeitig eine Individualistin. Mit ihren eigentlichen Botschaften wird sie heute meiner Meinung nach ganz und gar nicht ausreichend gehört. Obwohl ihre Themen, Fragen und Wünsche alle immer noch relevant sind. Es gibt heute eine starke und weitverzweigte feministische Bewegung in der Türkei (vielleicht fast die stärkste unter allen Bürgerrechtsbewegungen). Und diese feministische Bewegung verbindet sich mit ihren historischen Wurzeln, mit dem Kampf, in dem Halide und viele andere Frauen in der Spätphase des Osmanischen Reiches ihre Rechte offiziell eingeklagt und verteidigt haben. Sie wird in Erinnerung gehalten als prägende Autorin und Pädagogin sowie als „Korporal Halide“, ein Titel, den sie sich auf den Schlachtfeldern des Türkischen Befreiungskrieges verdiente, von wo aus sie als eine der ersten Kriegsjournalistinnen der Welt Tag für Tag berichtete.
Mein Stück hat unter anderem das Ziel, dieses schmale Narrativ zu erweitern. Halide selbst nennt sich Schriftstellerin, wird aber im Laufe ihres Lebens Aktivistin, Pazifistin, Wissenschaftlerin, Politikerin, Kämpferin für Bürgerrechte und eine demokratische Verfassung, Oppositionsführerin, Freiheitskämpferin, Kriegsberichterstatterin und eine symbolische Figur sowie Unterstützerin der frühen Frauenbewegung in der Türkei am Ende des Osmanischen Reiches und in den Anfängen der türkischen Republik. In jeder Versammlung, in jeder Partei, in den Organisationen, in denen sie in Kriegs- und in Friedenszeiten mitarbeitete, nahm sie stets zukunftsweisende, oft oppositionelle und unbequeme Positionen ein, aber immer in Verbindung mit ihrer „Kultur“ – nie waren diese Positionen abgehoben theoretisch oder rein utopisch, sondern sie behielt die sozialen Fragen ihrer Zeit im Blick, und dies nicht nur bezogen auf die Türkei, sondern im weltweiten Kontext. Sie nannte sich nicht „revolutionär“, sie war „evolutionär“. Eine zierliche Frau mit einer enormen Präsenz, mit einem Charisma ausgestattet, durch das sie nicht zu übersehen war!
Ihre Romane wurden von mehreren Generationen von Künstler*innen verfilmt, nicht zu vergessen ist aber ist die Tatsache, dass Halide selbst „performte“, und zwar 1913 in einer Aufführung mit Texten ihres Romans „Yeni Turan“. Hier steht die erste türkische Frau auf der Bühne und hält eine Rede, gegen alle Widerstände, singt und begleitet sich selbst auf dem Klavier, rebelliert gegen die osmanische Regierung, die zu dieser Zeit alle muslimischen Frauen per Gesetz von der Bühne verbannt. Sechs Jahre später, nach der griechischen Besetzung von Izmir 1919, ist sie eine Protagonistin auf fast allen öffentlichen Istanbuler Kundgebungen. In ihrer berühmten spontanen Rede auf dem Sultanahmet-Platz vor Tausenden prägt sie ein Motto: „Nations are our friends, governments are our enemies.“ Nach der Ausrufung der Republik 1923 zwangen sie ihre Konflikte mit Kemal Atatürk ins Exil nach London und Paris. Halide wurde die Stimme der „neuen Türkei“ im Ausland, publizierte in der New York Times zwischen 1922 und 1933. Ich hoffe, dass ich – unter anderem durch diese neu entdeckten Texte – ihre Stimme wieder hörbar machen kann, für möglichst viele Menschen, über die Türkei hinaus, so wie sie damals geklungen hat.
Emre Koyuncuoğlu lebt als Regisseurin in Istanbul, realisiert politische Stoffe in Inszenierungen mit Choreografien und Soundcollagen, schreibt dafür auch eigene Texte.
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