Morgen schon an heute denken
… denn die Zukunft ist bereits da – sie ist nur noch nicht gleichmäßig verteilt. Der Philosoph Armen Avanessian will deshalb zukünftiges Wissen in unser gegenwärtiges Handeln integrieren. Was bedeutet das für die Städte, in denen wir leben werden – und was für die Theater?
Jetzt werden die Entscheidungen getroffen, die unser Leben für die nächsten 30 Jahre bestimmen – und womöglich weit darüber hinaus“ – wenn Ingolfur Blühdorn mit seinem Gedankenessay für DIE NEUE SITUATION recht hat, wird die Pandemie nicht nur gewaltige gesellschaftliche Folgen haben, sie wird auch unsere Städte grundlegend verändern. „Corona wird Spuren hinterlassen, über deren Umfang man sich noch gar keine Vorstellungen macht“, schreibt Simon Strauß in der FAZ. Wenn aber jetzt die Entscheidungen über die Zukunft der Städte fallen, in denen wir leben – was sind dann eigentlich die Kriterien, nach denen wir so weitreichende Entscheidungen treffen wollen? In welcher Stadt werden wir leben wollen, in zehn, in 20, in 30 Jahren? Und wie können wir heute die Maßstäbe entwickeln, um da auch hinzukommen? Mit diesen Fragen beschäftigen wir uns in unserer gemeinsam mit der Süddeutschen Zeitung veranstalteten Reihe „WHAT IS THE CITY?“.
Zukunftsgenossenschaft statt Zeitgenossenschaft
Im ersten Teil der Veranstaltungsreihe erläutert der Philosoph Armen Avanessian in seinem Impulsvortrag, warum wir morgen schon an heute denken müssen und wie wir zukünftiges Wissen in heutige Entscheidungen integrieren können – denn wir haben nicht etwa ein Zuwenig an Zukunft, sondern eher ein Zuviel, meint Avanessian: Zu viel sei bereits festgelegt und bestimme unsere Handlungsspielräume. Wir brauchen als präemptive Persönlichkeiten deshalb mindestens so viel Zukunftsgenossenschaft wie Zeitgenossenschaft. Denn nach welchen kulturellen Werten wir jetzt entscheiden, definiert unsere Handlungsspielräume in der Zukunft.
Für die Theater käme es innerhalb dieses Settings dann eher darauf an, systemsubversiv als systemrelevant zu sein. Und weil kulturelle Infrastrukturen den Zusammenhalt der Gesellschaft gewährleisten sollen, entwirft Avanessian auch gleich eine theatrale Zukunftsvision: Zur Stärkung der Institutionen müsse man ein neues Angebot schaffen, die digitale Sparte eines Netztheaters, das ein neues Publikum generiere. Wie immer gehe es dabei es um die Produktion neuer politischer Subjekte für die Polis; deshalb müssten Theater für diese zukünftigen Subjekte auch neue Formen der Assembly kreieren, die als digitale Versammlung zu denken seien.
Dossier • 5 Beiträge
In der Reihe WHAT IS THE CITY? beschäftigen wir uns mit der Frage, in welcher Stadt wir leben wollen. Denn „jetzt werden die Entscheidungen getroffen, die unser Leben für die nächsten 30 Jahre bestimmen – und womöglich weit darüber hinaus", wie Ingolfur Blühdorn schreibt. Wenn das so ist – welche sind dann die Kriterien, nach denen wir so weitreichende Entscheidungen treffen wollen? Und wie entwickeln wir heute die Maßstäbe, um schnell gute Entscheidungen für morgen treffen zu können?