Bye Bye Öffentlicher Raum
Natürlich gibt es Handlungsspielräume, auch in Zeiten knappster Kassen! Man darf sich nur nicht kirre machen lassen, sondern muss auf die eigenen Stärken gucken. Angekündigt als ein Gespräch über das Verschwinden des öffentlichen Raumes durch den Kahlschlag in der Kulturlandschaft, geht gerade von einem Podium der Kulturschaffenden ein überraschend starkes Aufbruchssignal auf.
Dass Kommunen gerade angesichts der extremen Verwerfungen der Corona-Zeit nicht ihre ganze Politik dem Spardiktat der Gewerbesteuereinbrüche unterordnen müssen, sondern gerade jetzt antizyklisch handeln können, legt Veronica Kaup-Hasler, die Kulturstadträtin der Stadt Wien, in dieser vierten Folge unserer gemeinsam mit der Süddeutschen Zeitung veranstalteten Debattenreihe WHAT IS THE CITY eindrucksvoll dar: Anders als viele andere Städte fährt Wien in Zeiten der Not die Ausgaben nämlich gerade nicht zurück, sondern tut das glatte Gegenteil: Im Corona-Jahr erhöht sie ihren Kulturetat um unglaubliche 10,3%. Und da hört´s nicht auf: Die Stadt hat bereits angekündigt, den Kulturetat im nächsten Jahr noch einmal um weitere 10,3% zu steigern. Und als wäre das alles noch nicht sensationell genug, hat Veronica Kaup-Hasler auch gleich noch mit dem Wiener Kultursommer ein neues Festival erfunden, um Freie Künstler*innen zu unterstützen. Kulturpolitik@Corona? So!
Mehr Geld für die Kultur, jetzt!
Können andere Städte davon lernen? Und ob! Eva Mair-Holmes vom Trikont-Musikverlag überlegt, spontan nach Wien auszuwandern, fordert dann aber doch die Rückbesinnung auf die eigenen Stärken, und von der Stadt vor allem Gestaltungsspielraum für innovative Formate. Und Ute Gröbel vom hochX sieht jetzt die Chance, endlich die grundlegenden strukturellen Änderungen durchzuführen, die ohnehin längst fällig sind – denn da gerade niemand spielen kann, haben ja alle Zeit dafür. Ein Produktionshaus für die Freie Szene zum Beispiel wär nicht schlecht.
Denn wenn Ingolfuhr Blühdorn recht hat, entscheidet sich jetzt die Zukunft der Städte, in denen wir leben. Die klügeren unter ihnen bauen gerade jetzt ihre Kultur aus, um auch in 30 Jahren noch Kulturstädte zu sein – Wien, Hamburg, Dortmund. Und München? Hier werden Kürzungsszenarien diskutiert, die auf eine langfristige Halbierung der künstlerischen Etats hinauslaufen. Und die wenigen Prozentpunkte, die bei der Kultur gespart werden können, führen sehr schnell zu einer kulturellen Brache: Wenn man 10 % eines Baumes abschneidet, hat der ja nicht 10 % weniger grün, sondern keine Stamm mehr, denn 90% eines Baumes, seine Struktur, befinden sich unsichtbar unter der Erde. 6,5% Kürzung quer durch die Kulturlandschaft bedeuten da nicht den einen oder anderen Baum weniger im Wald, sondern einen Kahlschlag: Da sind dann nur noch lauter Stümpfe, wo mal Grün war.
Dossier • 5 Beiträge
In der Reihe WHAT IS THE CITY? beschäftigen wir uns mit der Frage, in welcher Stadt wir leben wollen. Denn „jetzt werden die Entscheidungen getroffen, die unser Leben für die nächsten 30 Jahre bestimmen – und womöglich weit darüber hinaus", wie Ingolfur Blühdorn schreibt. Wenn das so ist – welche sind dann die Kriterien, nach denen wir so weitreichende Entscheidungen treffen wollen? Und wie entwickeln wir heute die Maßstäbe, um schnell gute Entscheidungen für morgen treffen zu können?