DNS
Januar 2021

Die Zukunft der Kulturpolitik

Man kann ja alles verschriftlichen, aber wer die Wucht erleben will, die überzeugendes Eintreten für die Belange von Kunst und Kultur entfalten kann, sollte sich den Videomitschnitt des Zoom-Gespräches zwischen Katrin Habenschaden, Veronica Kaup-Hasler und Carsten Brosda, moderiert von Alex Rühle, in voller Länge ansehen.

Denn im Auftaktgespräch der Digitalen Akademie „What is the City?“ zur Zukunft der Kulturpolitik, die die Kammerspiele in Kooperation mit der Süddeutschen Zeitung durchgeführt haben, wurden Grundsatzfragen gestellt. Es ging darin vor allem um einen Erfahrungsaustausch und positive Beispiele, um voneinander lernen zu können in diesen schwierigen Zeiten. Und die positiven Beispiele hatten es in sich. Sowohl Hamburg als auch Wien erhöhen ihre Kulturetats beträchtlich in der Pandemie: Hamburg um rund 10 Millionen Euro, Wien gar 26 Millionen Euro, also rund 10%.

Fairerweise muss man dagegenhalten, dass München in den Jahren zuvor seinerseits den Kulturetat stetig erhöht hatte; und bei den Kulturausgaben pro Kopf nach wie vor deutlich höher liegt als Wien, selbst wenn man nur die Zahlen zugrunde legt, die alleine die Stadt München investiert, wie Münchens Zweite Oberbürgermeisterin Katrin Habenschaden ausführte. Dennoch war die Runde schnell bei Grundsatzfragen: Veronica Kaup-Hasler beschreibt die derzeitige Situation als „sehr spannende Zeit, in der wir grundsätzliche Fragen dazu stellen können: Was ist das Gemeinwohl? Was braucht es, um Commons aufrechtzuerhalten?“

Der Hamburger Kultursenator (und frisch gewählte neue Präsident des Deutschen Bühnenvereins) Carsten Brosda ergänzt, dass wir im Moment Beschädigungen des öffentlichen Raumes in Kauf nehmen und damit eine zuvor schleichende Entwicklung eskalieren, die seit 30, 40 Jahren anhält. Es war aber wohl noch nie so deutlich wie heute, was das für eine Gesellschaft bedeutet: Man müsse die Frage stellen, was „öffentliche Güter“ heute bedeuten und was wir bereit seien aufzuwenden, um gemeinschaftliche Güter zu erhalten.

Mehr Geld für die Kultur, jetzt!

Brosda beobachtet einen Wandel des Staatsbildes – der Staat wird nicht mehr nur unter neoliberalen Gesichtspunkten gesehen, denn was er kann und wozu wir ihn brauchen, erleben wir gerade. Dies sei die Chance, die „zutiefst kulturelle Diskussion“ darüber zu drehen, wie wir Staat und Gesellschaft denken wollen. Wichtig ist dabei der Umgang mit den Commons: Es sei zum Beispiel ein Fehler, argumentiert Brosda in Anlehnung an Elisabeth Wehling, Steuern als „Belastung“ zu framen – sie ermöglichen ja überhaupt erst gemeinschaftliche Güter.
Veronica Kaup-Hasler, Kulturstadträtin in Wien, stellt grundsätzlich in Frage, dass wir jetzt überhaupt sparen müssten. Sie fragt stattdessen, auf welche Gelder wir verzichten durch eine Steuergesetzgebung, die Schlupflöcher und Steuerflüchtlinge zulässt. Nicht sparen also, sondern jetzt „die Voraussetzungen schaffen für künftige Generationen, damit dies nicht eine finstere, sich rein durch Beschränkungen definierende Zeit“ werde, sei die Aufgabe. „Wir müssen mehr denn je investieren.“ Und wir sollten „völlig anders darüber nachdenken, was Gesellschaft, Gemeinschaft, Zusammenleben ausmacht.“ Auch Katrin Habenschaden betont die Wichtigkeit antizyklischen Investierens, es ginge jetzt darum, zu stützen und zu retten, damit es wieder zu einem „Feuerwerk der Kultur“ kommen könne, wenn es soweit sei.

Revolutionen anzetteln, Schuldenregeln lockern

Wäre dies nicht ein guter Zeitpunkt, fragt Alex Rühle von der Süddeutschen Zeitung, die Regeln für die Genehmigungsfähigkeit von kommunalen Haushalten zu ändern? Schließlich ist der Schuldenstand in München niedrig, die Refinanzierungsbedingungen sind sehr gut, die Wirtschaft wird sich vermutlich auch erholen und damit dann auch die Steuereinnahmen. Unter Verweis auf den Vorschlag von Kanzleramtschef Helge Braun, „eine Erholungsstrategie für die Wirtschaft in Deutschland mit einer Grundgesetzänderung zu verbinden, die begrenzt für die kommenden Jahre Neuverschuldung vorsieht“ schlägt Rühle vor, in den Kammerspielen eine kleine Revolution anzuzetteln und diesen Vorstoß auf die kommunalen Haushalte auszudehnen.

Denn der Philosoph Armen Avanessian hatte in der ersten Runde dieser Gespräche gesagt: „Das Geld ist da. Wie wir mit Haushalten umgehen, ist eine politische Entscheidung. Wir haben nur noch die Wahl, ob die progressiven Linken Schulden für eine gerechtere Zukunft machen, oder ob die Trumps übernehmen und Schulden machen für ihre reaktionäre Programmatik.“

Und das Erstaunliche tritt ein: Es scheint in der Runde bei allen eine grundsätzliche Bereitschaft vorhanden zu sein, zumindest darüber nachzudenken. Carsten Brosda fordert, man müsse die Schuldenbremsen zumindest viel präziser fassen. Katrin Habenschaden betont zwar zunächst, dass Schuldenbremsen grundsätzlich sinnvoll seien, merkt dann aber an, dass man sehr genau schauen müsse, für was man Schuldenregeln außer Kraft setze. Darauf lässt sich aufbauen: Wenn es hart auf hart kommt – und es wird hart auf hart kommen, sagen wir mal: nächstes Jahr –, sollten wir genau das tun: genau hinschauen, wofür wir die Schuldenregeln außer Kraft setzen.

Hinzu kommt eine weitere Beobachtung: Veronica Kaup-Hasler blickt klug in die Zukunft und weist darauf hin, dass Kulturförderung auch bedeutet, mitzutragen, dass die Institutionen noch sehr lange nicht auf dieselben Zahlen wie früher kommen werden, auch wenn der Lockdown vorbei ist. Weder Auslastungszahlen noch Einspielergebnisse werden sich vergleichen lassen mit präcoronalen Werten. Sie fordert deshalb u.a. Allianzen zwischen europäischen Städten, eine Forderung, der sich alle Gesprächsteilnehmer*innen anschließen, denn die Wahrnehmung von Funktionieren von Politik richte sich immer mehr auf die unmittelbare Umgebung.

Die Städte schaffen es nicht alleine, Bund und Ländern sind gefordert

Vielleicht noch wichtiger ist aber eine andere, klare Forderung: Wir werden eine sehr gute Unterstützung durch Bund und Land für die nächsten Jahre brauchen, stellt Katrin Habenschaden klar. Das ist das klare Signal: Die Städte werden es nicht alleine schaffen.

Dies ist zugleich der Punkt, an dem Kulturschaffende und Kommunalpolitiker*innen Verbündete sind und sein müssen. Hier deutet sich zugleich eine mögliche gemeinsame Stoßrichtung für den Zukunftskampf der Kulturpolitik an. Anderswo wird bereits vorgelebt, wie das konkret aussehen kann: In Niedersachsen treffen sich in der Woche nach diesem Gespräch im Rahmen der Aktion „40.000 Theaterschaffende treffen ihre Abgeordneten“ die Ensembles des Staatstheaters und der Oper Hannover mit rund 60 (!) Landtagsabgeordneten – das ist fast der halbe Landtag! – in Einzelgesprächen, um genau solche Möglichkeiten auszuloten.

Es würde sich womöglich lohnen, das andernorts zu wiederholen. Denn insgesamt müsse die Politik aufhören, Kunst und Kultur als Freizeitgestaltung zu betrachten, fordert Habenschaden – und solche Gespräche wie die in Niedersachsen können die Grundlage legen, die grundsätzliche Bedeutung öffentlicher Räume im politischen Bewusstsein zu halten: Theater sind Erfahrungsräume der Demokratie, nicht vergessen!

Stadtgespräche schlauer machen

Denn zunächst einmal ist es die Aufgabe der Kunstschaffenden, deutlich zu machen, warum man uns braucht. Carsten Brosda nimmt uns klar in die Selbstverpflichtung, der Gesellschaft unsere Relevanz vor Augen zu führen. Die Frage sei: Wie machen wir uns zum festen Bestandteil einer Stadt, in allen Milieus?

Auch Katrin Habenschaden skizziert genau das als Zukunftsaufgabe: Es brauche Kunst und Kultur im öffentlichen Raum. Denn „wir werden andere Räume haben, und die Frage ist, wer sie einnimmt“. Dabei komme es darauf an, zu stören, widerständig zu sein, ergänzt Brosda, „nicht, die Innenstädte zu möblieren. Unsere Aufgabe ist, das Stadtgespräch schlauer zu machen“.

Transformationen der Institutionen

Die Chefdramaturgin der Kammerspiele, Viola Hasselberg, weist im Chat darauf hin, dass es gut sei, die Debatte um den Wert der Kultur auch im Hinblick auf solche Transformationen der Institutionen und ihrer Aufgaben zu führen, denn die Hinwendung zur Stadt hat ja strukturelle Auswirkungen. Oliver Beckmann, Geschäftsführender Direktor der Kammerspiele, merkt auf Facebook an, die Hinwendung zur Stadtgesellschaft habe die Einnahmestrukturen der Institutionen massiv verändert und fragt, ob die Stadt München bereit sei, diese Veränderungen auch ökonomisch zu unterstützen.

Ganz abgesehen von den Investitionen, die im Bereich Digitalität notwendig sind. Die Runde scheint weitgehend einig, dass hier große Zukunftsaufgaben liegen. Aber Marcus Lobbes, der Direktor der Akademie für Theater und Digitalität, hatte ja schon im ersten Lockdown darauf hingewiesen, dass wir gerade jetzt erheblich mehr Geld für die Institutionen bräuchten, um diese dringenden Transformationen voranzutreiben.

Drohende Verheerungen

Bei all dem darf man nicht vergessen, darauf weist Carsten Brosda hin:

– Es besteht die reale Gefahr, dass wir nicht gut durch die Krise kommen
– Es kann schiefgehen
– Es kann Verheerungen nach sich ziehen

Für die Kammerspiele kann man sagen, dass 6,5% Kürzung überhaupt nicht harmlos sind. Bei rund 80% Personalkosten und gleichzeitigem Ausfall der Ticketeinnahmen bedeutet es eine Halbierung des künstlerischen Etats, und die kann nächstes Jahr nicht mehr (wie im Moment noch) durch Rücklagenauflösungen aufgefangen werden. Die grundsätzliche Bereitschaft der Runde, über Lockerungen der Neuverschuldungsregeln nachzudenken: Sie könnte noch wichtig werden.

Offener Austausch im Nachgespräch

Der offene Austausch der Zuschauer*innen untereinander, bei dem interessierte Öffentlichkeit und Fachpublikum, lokale und überregionalen Akteur*innen in kleinen Gesprächsrunden von fünf bis zehn Menschen miteinander direkt ins Gespräch kommen und sich über die gerade gehörten Impulse austauschen, ist der Kern der Digitalen Akademie. In diesem Nachgespräch wurde deutlich, wie sehr das Gespräch neben den vielen inhaltlichen Impulsen und der reichhaltigen argumentativen Auseinandersetzung auch noch einen ganz anderen, in dieser Zeit vielleicht nicht minder wichtigen Effekt hatte: Viele Zuschauer*innen sprachen in dem offenen Austausch, davon, wie sehr sie das Gespräch zusätzlich als empowerndes, mutmachendes, auch: Lust machendes Gespräch empfunden haben. Zugleich sei aber auch das Ungleichgewicht im Umgang mit der Kultur im Kontrast der Städte sehr deutlich geworden, „fast schmerzlich“, wie eine Teilnehmerin formulierte.

Widerständigkeit erhalten
Ein zentraler Punkt des Gespräches wurde mehrfach aufgegriffen: Es geht darum, die Widerständigkeit zu erhalten - hier bricht sich ein deutliches Gegengewicht gegen die so oft (und fast immer so schief) geführte „Systemrelevanz“-Debatte Bahn, denn womöglich liegt das Wesen der Kunst ja darin, gerade nicht systemrelevant zu sein: Armen Avanessian hatte davon gesprochen, es ginge eher darum, systemsubversiv zu sein. Die Frage nach dem Commons war eine weitere zentral diskutierte: Austausch sei das wichtigste Gut dieser Tage, Aufgabe der Theater sei es daher auch, Begegnungen zu ermöglichen und Räume öffentlichen Austausches zur Verfügung zu stellen. Dabei stellt sich die Frage sehr grundsätzlich: Was heißt Kultur als öffentliches Gut? Würde ein radikal gedachtes öffentliches Gut nicht freien Eintritt bedeuten, weil es nur dann keine Umverteilung von unten nach oben gäbe? Gerade beim Thema kulturelle Teilhabe wurden die Fragen sehr konkret gestellt: Für wen produzieren wir, was brauchen wir, um verschiedenen Gruppen zusammenzuführen, wer ist eigentlich die Stadt? Und auch: Wie lässt sich Solidarität herstellen, und wie überhaupt erst einmal Sichtbarkeit? Es brauche andere Strukturen und andere Personen, die mitwirkten - und da schließt sich der Kreis zu der Facebook-Bemerkung von Oliver Beckmann. Und auch im Nachgespräch wurde die Frage nach einem Ausgleich durch Bund und Länder intensiv diskutiert und die Frage wurde gestellt, ob nicht grundsätzlich andere Transferleistungen denkbar wären.

Arbeitsfähigkeit erhalten
Ein zentraler Punkt des Gespräches wurde mehrfach aufgegriffen: Es geht darum, die Widerständigkeit zu erhalten - hier bricht sich ein deutliches Gegengewicht gegen die so oft (und fast immer so schief) geführte „Systemrelevanz“-Debatte Bahn, denn womöglich liegt das Wesen der Kunst ja darin, gerade nicht systemrelevant zu sein: Armen Avanessian hatte davon gesprochen, es ginge eher darum, systemsubversiv zu sein. Die Frage nach dem Commons war eine weitere zentral diskutierte: Austausch sei das wichtigste Gut dieser Tage, Aufgabe der Theater sei es daher auch, Begegnungen zu ermöglichen und Räume öffentlichen Austausches zur Verfügung zu stellen. Dabei stellt sich die Frage sehr grundsätzlich: Was heißt Kultur als öffentliches Gut? Würde ein radikal gedachtes öffentliches Gut nicht freien Eintritt bedeuten, weil es nur dann keine Umverteilung von unten nach oben gäbe? Gerade beim Thema kulturelle Teilhabe wurden die Fragen sehr konkret gestellt: Für wen produzieren wir, was brauchen wir, um verschiedenen Gruppen zusammenzuführen, wer ist eigentlich die Stadt? Und auch: Wie lässt sich Solidarität herstellen, und wie überhaupt erst einmal Sichtbarkeit? Es brauche andere Strukturen und andere Personen, die mitwirkten - und da schließt sich der Kreis zu der Facebook-Bemerkung von Oliver Beckmann. Und auch im Nachgespräch wurde die Frage nach einem Ausgleich durch Bund und Länder intensiv diskutiert und die Frage wurde gestellt, ob nicht grundsätzlich andere Transferleistungen denkbar wären.

What is the city?

Dossier • 5 Beiträge

In der Reihe WHAT IS THE CITY? beschäftigen wir uns mit der Frage, in welcher Stadt wir leben wollen. Denn „jetzt werden die Entscheidungen getroffen, die unser Leben für die nächsten 30 Jahre bestimmen – und womöglich weit darüber hinaus", wie Ingolfur Blühdorn schreibt. Wenn das so ist – welche sind dann die Kriterien, nach denen wir so weitreichende Entscheidungen treffen wollen? Und wie entwickeln wir heute die Maßstäbe, um schnell gute Entscheidungen für morgen treffen zu können?