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April 2021

Manifest der außer­parlamentar­ischen Theater­opposition

Ein Gespenst geht um im Kulturwesen – das Gespenst der feministischen Spaßverderber*innen!

Egal wo wir auftauchen, wir hinterlassen ein blutiges Schlachtfeld und beleidigte Leberwürste, weiße Tränen und entsetzte Gesichter. Wir wollen keine Krümel, wir wollen die ganze Bäckerei. Wir sind die außerparlamentarische Theateropposition, die keinen Maserati unter’m Arsch hat, aber eine Vagina auf der Zunge. Folgendes Manifest ist für die Wirklichkeit, der wir keinen Spiegel vorhalten, sondern sie mit dem Hammer gestalten.

Theater ist nicht nur, wenn abends auf der Bühne gespielt wird, Theater ist immer.

Kartoffelstampfen gehört zu den Grundskills neuer deutscher Theatermacher*innen und muss in den Kanon aufgenommen werden.

Männer, die Frauen of Color belehren, müssen mit einer Hand und verbundenen Augen einen Hund töten.

Weiße Zeigefinger, die migrantische Kulturlandschaften neu zu entdecken glauben, so wie Kolumbus seinerzeit Amerika, müssen mit einer zweimonatigen Residency den Weg in die eigenen Körperöffnungen aufsuchen und dort eine Weile recherchieren.

Es muss Klarheit darüber herrschen, dass Almans, die keine 5 Sätze aus einer der Sprachgruppen migrantischer Minderheiten sprechen, am Theater keine innovativen Formate entwickeln können.

Es ist höchste Eisenbahn für die Einrichtung flächendeckender Bidets in allen Theatertoiletten, Mindestanforderung: Gießbecher als gleichberechtigtes Angebot zum Toilettenpapier.

Frisch gebrühter Tee muss als Grundausstattung in allen Kultureinrichtungen etabliert werden.

Für Radikale Wirklichkeiten am Theater muss auch radikal Sorge getragen werden.

Kultureinrichtungen, die „Diversität und Inklusion“ auf ihre Fahnen schreiben, dürfen den Untertitel „Jahrezehntelang unter den Teppich gekehrt!“ nicht vergessen.
Ein bisschen Spass muss sein!

Kultureinrichtungen, die sich „Diversität und Inklusion“ auf die Fahne schreiben, müssen dafür auch bezahlen; rückwirkend und fortlaufend.

Männer, die als Mansplainer am Theater in Erscheinung treten, sind dreistündigen Vaginamonologen zu unterziehen.

Kostenlose Kopftücher für alle! Mindestens drei Kopftücher pro Sitzreihe.

POC’s (People of Color), die sich in den Räumen des Theaters in aller Öffentlichkeit bei den Angehörigen der Dominanzkultur bedanken, sollten auf Kosten des Theaters rehabilitiert oder in Frührente geschickt werden.

Keine Abkehr von Kampf für postmigrantische Perspektiven und dekolonisierende Praxis, solange postmigrantische Perspektiven und dekolonisierende Praktiken nicht absoluter Mainstream sind.

Verdopplung der Gehälter für das gesamte Putzpersonal in den Theaterhäusern, weil ihre Performanz bis heute nicht angemessen gewürdigt wurde.

Theaterhäuser, in denen sich Diversität als eine optische Täuschung entpuppt, sind verpflichtet mit dem gesamten Leitungsstab wöchentlich Folkloretänze auf der großen Bühne aufzuführen.

Feministischen Spaßverderberinnen und ihren Freund*innen steht zu diesen Anlässen grenzenlos Champagner auf den Logenplätzen zu!

Das Manifest erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ergänzende Anmerkungen, anmerkende Ergänzungen, ganze Sätze, halbe Sätze, Satzteile oder Teilsätze sowie Ersatzteile sind gerne willkommen.

Tunay Önder

ist Künstlerin, Kuratorin und Autorin. Auf der Plattform Die neue Situation veröffentlicht sie Anekdoten, Monologe, Dialoge, Notizen und Fragmente. Oder wie in der ersten Ausgabe, ein Manifest. Ihre Heimat ist McDonalds und das migrantenstadl.

migrantenstadl

Referenzen

Sara Ahmed: Feministisch Leben. Manifest für Spassverderberinnen, 2017

Mely Kiyak: Dann doch lieber Friseurkolumnistin, 2013

Florian Malzacher: Gesellschaftsspiele. Politisches Theater heute, 2020

Nuray Demir/Michael Annoff: Hello, white Diversity, 2020

Imad Mustafa/Tunay Önder: Migrantenstadl, 2016

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