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Dezember 2020

In welcher Stadt werden wir leben wollen?

Jetzt werden die Entscheidungen getroffen, die unser Leben für die nächsten 30 Jahre bestimmen – und womöglich weit darüber hinaus“ meinte Ingolfur Blühdorn in einem Gedankenexperiment für DIE NEUE SITUATION. Wenn aber jetzt die Entscheidungen über die Zukunft der Städte fallen, in denen wir leben – was sind dann jenseits von Spardebatten nach dem Rasenmäherprinzip eigentlich die Kriterien, nach denen wir so weitreichende Entscheidungen treffen wollen? In welcher Stadt werden wir leben wollen, in zehn, in 20, in 30 Jahren? Und welche Handlungsspielräume bleiben den Kommunen in Zeiten knappster Kassen? Im Rahmen unserer gemeinsam mit der Süddeutschen Zeitung veranstalteten Reihe WHAT IS THE CITY? hat Alex Rühle diese Fragen mit Katrin Habenschaden, Jón Gnarr, Viola Hasselberg und Armen Avanessian diskutiert.

Auch wenn Katrin Habenschaden auf unserem Politpodium die Zahl von einer Milliarde Euro wegbrechender Gewerbesteuer für die Stadt München nicht bestätigen wollte, weil die Prognosen sich wöchentlich änderten – absehbar sei, dass das Jahr 2021 für die kommunalen Finanzen noch weit schwieriger werde als 2020. Während die die zweite Bürgermeisterin der Landeshauptstadt München Kürzungen im sozialen Bereich ausschloss, ist das für die Kultur leider weit weniger klar, obwohl hier kaum was zu holen ist: Die 20 Kulturmillionen seien ja angesichts eines Gesamthaushalts von 7 Milliarden doch eher Peanuts, führt Moderator Alex Rühle aus.

Eine andere Perspektive als reine Spardebatten forderte Viola Hasselberg, die Chefdramaturgin der Münchner Kammerspiele, vehement ein. Denn wo haben wir überhaupt noch kommunale Gestaltungsspielräume? Wie können wir die Stadt, in der wir in zehn oder 20 Jahren leben wollen, heute gestalten? Am Ende müsse der Haushalt genehmigungsfähig sein, führt Habenschaden aus, sonst gehe noch der letzte Handlungsspielraum verloren. Der Philosoph Armen Avanessian setzt dem eine so einfache wie pragmatische Lösung entgegen: Mehr Geld! „Wie wir mit Haushalten umgehen ist eine politische Entscheidung. Wir haben nur noch die Wahl, ob die progressiven Linken die Schulden machen, oder ob die Trumps übernehmen und die Schulden machen“. Deshalb müsse man die neue Situation nicht als Krise begreifen, sondern als Dauerzustand und offensiv mit ihr umgehen.

Wie sich andere Städte in Zeiten größter Finanznot aus dem Geist des Punk mit so kreativen wie harten Entscheidungen Handlungsoptionen erhalten haben, führt der Comedian und ehemalige Bürgermeister von Reykjavik, Jón Gnarr, aus. In Situationen, in denen die Gesellschaft von Angst und Wut geprägt sei, käme es als Entscheidungsträger*in darauf an, Verantwortung zu übernehmen.

Warum dies eigentlich die Zeit der Parlamente sei und wieso die die politische Meinungsfindung durch das Wegbrechen der demokratischen Aushandlungsstrukturen an der Basis strukturell gefährdet sei, führte Habenschaden eindrucksvoll aus – blieb da aber nicht stehen, sondern skizzierte so präzise wie eindrucksvoll eine positive Vision davon, wie die Postcorona-Stadt aussehen kann: Ein möglicher Startschuss für weitere Gespräche in dieser Reihe.

What is the city?

Dossier • 5 Beiträge

In der Reihe WHAT IS THE CITY? beschäftigen wir uns mit der Frage, in welcher Stadt wir leben wollen. Denn „jetzt werden die Entscheidungen getroffen, die unser Leben für die nächsten 30 Jahre bestimmen – und womöglich weit darüber hinaus", wie Ingolfur Blühdorn schreibt. Wenn das so ist – welche sind dann die Kriterien, nach denen wir so weitreichende Entscheidungen treffen wollen? Und wie entwickeln wir heute die Maßstäbe, um schnell gute Entscheidungen für morgen treffen zu können?