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Programmheft zu Like Lovers Do (Memoiren der Medusa)

von Mehdi Moradpour und Flora Riezinger

Foto: Leonard Mandl

Sivan Ben Yishais Text „Like Lovers Do (Memoiren der Medusa)“ behandelt mit einer kraftvollen Erzählenergie Themen wie sexistische Kommentare in der Familie, toxische Rollenbilder, die unterdrückte weibliche Sexualität bis hin zu Vergewaltigungen und Ermordungen.

Sexuelle Gewalt und Vergewaltigungen sind sehr intime und persönliche Themen und gleichzeitig höchst politisch. Denn während oft nicht mal in den engsten Kreisen darüber gesprochen wird, entscheiden politische Handlungen und gesellschaftliche Ansichten den Alltag so vieler. Ein aktuelles Beispiel ist das strenge Abtreibungsgesetz „Heartbeat-Bill“ in Texas. Selbst bei Vergewaltigungen oder Inzest dürfen Abtreibungen nach der sechsten Schwangerschaftswoche nicht mehr durchgeführt werden. Für eine Anzeige gegen eine Frau oder eine Einrichtung, die eine Abtreibung durchgeführt hat, kann eine Belohnung ab 10.000 Dollar ausbezahlt werden.

Die Strukturen von sexualisierter Gewalt, welche Männer als klassische Täter stigmatisieren, sind tief in unserer Gesellschaft verankert. „Vergewaltigung gendert uns, indem sie uns beibringt, wie wir uns unserem Geschlecht entsprechend zu verhalten haben, wie die Geschlechter zueinanderstehen und wie viele Geschlechter es gibt: nämlich zwei“, schreibt die Autorin und Kulturwissenschafterin Mithu M. Sanyal in ihrem Buch Vergewaltigung. LGBTIQ-Personen werden in dieser Thematik oft gar nicht berücksichtigt.

Das Forum Queeres Archiv München versteht sich als „Gedächtnis“ der LGBTIQ*-Community. Es ist ein Ort der Begegnung und konstruktiven Auseinandersetzung von Menschen verschiedener sexueller Orientierung und Identität und jeden Alters.

Wie Sanyal aufzeigt, gibt es in unserer Gesellschaft internalisierte Verhaltensweisen, an denen noch immer festgehalten wird. So wurde lange der Glaube vermittelt, dass eine Frau von einem Mann erobert werden wolle und das erstmalige Zögern zur großen Tugend gehöre, da es das wichtigste des weiblichen Geschlechts sei, ihre Keuschheit zu bewahren. Ganz nach dem Motto „I know you want it. But you’re a good girl“, wie es in dem Refrain des Liedes Blurred Lines (von Robin Thicke, T.I. und Pharrell Willams) aus dem Jahr 2013 heißt, welches 55 Wochen auf Platz 1 der deutschen Charts war.

Auch heute wird noch vermittelt, dass Männer ihre sexuellen Triebe nicht im Griff hätten und Frauen ihre weitgehend unterdrücken müssten, um das männliche Geschlecht nicht zu Übergriffen zu verleiten.

Autorin und Kulturwissenschafterin Dr. Mithu M. Sanyal über Kultur(historische) Aspekte von Vergewaltigung, Männlichkeitsbilder und Strategien gegen sexualisierte Gewalt.

Diese verzerrten Ansichten machen es auch männlichen Opfern von sexueller Gewalt schwieriger, Gehör zu finden. Ihr Geschlecht sei doch das stärkere, ja nahezu unverwundbar. In der Schweiz können Männer rechtlich gesehen gar nicht Opfer einer Vergewaltigung werden. Das Strafrecht definiert Vergewaltigung als erzwungenen vaginalen Geschlechtsverkehr mit einer weiblichen Person. Sexuelle Gewalt gegen Männer wird nur als Nötigung eingestuft, was deutlich milder bestraft wird.

2019 kam es in Deutschland laut Bundeskriminalamt zu 9426 Anzeigen wegen Vergewaltigung oder sexueller Nötigung. Es wird davon ausgegangen, dass es selten zur Anzeige kommt. Einer der Gründe dafür ist, dass Betroffenen oft eine Mitschuld an der Tat gegeben wird. Falscher Ort, zur falschen Zeit und vor allem die falsche Kleidung wird dabei oft als vermeintliches Fehlverhalten genannt. Dies widerspricht sich jedoch mit der Tatsache, dass die meisten Vergewaltigungen nicht im öffentlichen, sondern im privaten Raum stattfinden. 77 % aller in Deutschland vergewaltigten Frauen kennen den Täter. Bei nahezu der Hälfte war es der (Ex-)Partner. Dies wurde auch während des Lockdowns 2020 deutlich. Studien zeigen, dass die Zahlen von häuslicher und sexualisierter Gewalt nochmal deutlich anstiegen.

Auf der Bühne dreht sich der Lauf der Geschichte um. Was wäre, wenn sich Frauen gegen die Jahrhunderte alte Unterdrückungsgeschichte wehren würden? Wie wäre es, wenn sich diese Gewaltgeschichte und der patriarchale Ballast zersetzen lassen würde, zum Nährboden für neue Narrative und Umgangsweisen? Ausgehend von diesen Fragen versetzt die Regisseurin Pınar Karabulut Sivan Ben Yishais Stück in ein Spannungsverhältnis zwischen dem Jetzt und einer möglichen Utopie, in der die herrschenden Geschlechtermodelle überwunden werden könnten.

Flora Riezinger

Triggerwarnung: Das Stück enthält viele Schilderungen von sexualisierten Gewalthandlungen, die belastend und re-traumatisierend wirken können.

Beratungsstelle Frauennotruf München
www.frauennotruf-muenchen.de
Tel.: 089 763 737

Informationszentrum für Männer
www.maennerzentrum.de
Tel.: 089 543 95 56

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