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TAM TAM Nacht der luziden Träume

 Therese-Giehse-Halle
 15 Euro
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Diese lange hypnagoge Nacht erkundet die Zustände zwischen Wachsein und Schlaf. Oder auch nicht.

Albträume, DJsets, Erzählungen, Schlafwurst, Zaubertrank, Interventionen und Frühstück mit Daniel Door, Rag*Treasure, Matthias Stadler, Paul Wick, LeRoy, Max Weisthoff, Lina Zylla, Afshin Karimifard, Valentin Wagner, Sebastian Reier, Klaus Erika Dietl, Thomas Steierer

Das Interessante am Traum ist die Gesellschaft, die ihn interpretiert
von Peter Oberloher

„Ich wache auf. Tapsend greift meine Hand Richtung Nachttisch und sucht nach dem kleinen Moleskine-Buch samt Stift. Ich merke, dass meine Hand-Innenflächen schwitzig sind und beginne zu schreiben. Im Traum sind alle Zähne in meinem Mund locker geworden. Sie haben angefangen zu wackeln und auszufallen. Ich versuche, es zu vertuschen. Ich will es mir nicht anmerken zu lassen, dass mein Mundraum sich gerade mit losen Zähnen füllt, vermeide es zu sprechen, versuche die Zähne hinunterzuschlucken.
Als ich am nächsten Morgen den Traum google, lese ich, dass ich laut Freud anscheinend meine Sexualität unterdrücke und diese ungehemmter ausleben sollte. Merkwürdig, ich habe gar nicht das Gefühl, ein unbefriedigtes Sexleben zu haben… Dieser Freud immer mit seinen Penissen… Auf der Homepage von dental-team.de steht, dass Zähne verlieren mit Verlust zu tun hat. Dental-Team schreibt sogar, dass mein Traum auf einen zukünftigen Verlust hinweisen könnte. Danke Dental-Team.de. Wahnsinn, dass so eine Homepage die Zukunft voraussagen kann! Und doch beschleicht mich das unbestimmte Gefühl, wieder zum Zahnarzt gehen zu müssen…
Träume sind spannend. Klar. Aber viel spannender ist doch, wie derselbe Traum über die Jahrhunderte völlig unterschiedlich interpretiert wird.

Fangen wir bei der Antike an: Im antiken Griechenland dachten die Menschen, Träume würden von den Göttern eingegeben. Sie weisen auf Bevorstehendes hin und wurden von Orakeln herangezogen. Das Orakel von Delphi soll sich durch halluzinogene Substanzen in einen hypnotischen Traumzustand versetzt haben, um die Zukunft vorher zu sagen.
Spannend. Und habe ich nicht in meinem katholischen Kindergartenhirn eine weitere Story aus der Bibel abgespeichert? In der ein Typ dem Pharao anhand eines Traumes mit sieben Kühen die Ernten der nächsten vierzehn Jahre vorhergesagt hat? Klingt eigentlich recht positiv. Wie kann es sein, dass im dunklen Mittelalter der Traum so negativ konnotiert war? Die Menschen dachten, dass alles, was den gewöhnlichen Menschen als nicht erklärbar begegnete, auf jeden Fall vom Teufel kommen musste. Alles, was mit Magie zu tun hatte - und dazu zählten auch Träume - wurde aufs Schärfste verfolgt (und hatte den angenehmen Nebeneffekt, dass man sich noch stärker von der vorchristlichen Antike emanzipieren konnte).
Grund genug, im Mittelalter lieber nicht von seinen Träumen zu erzählen.

Mit Beginn der frühen Neuzeit und einem stärkeren Fokus auf dem Individuum wurde auch der Traum subjektiver und zu einer privateren Angelegenheit. Er zeugte von psychischen Dispositionen, die individuell interpretiert werden konnten. Nicht umsonst sind der Alpdruck und der Nachtmahr beliebte Sujets in romantischer und symbolistischer Malerei. Den Gipfel bildet freilich Freud mit seinem Penis. In dem Systematisierungs- und Klassifizierungswahn dieser seiner Zeit versuchte Freud, gewisse Traumthemen seiner Patient*innen herauszuarbeiten. Natürlich um — eingebettet im individuellen Traumgeschehen — eine allgemeingültige Autorität zu postulieren.

Mutter = Blablabla…

Wie gesagt, das Interessante am Traum ist die Gesellschaft, die ihn interpretiert.
Schön, dass wir -dank Freud- irgendwann genug hatten, uns ständig selbst zu analysieren und therapieren zu müssen. Zu Recht verschwand der Traum während des fortschreitenden Kapitalismus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kurzzeitig in der Versenkung. Viel geschlafen wurde da ohnehin nicht. Die letzten Jahre allerdings wird der Traum wieder ins Rampenlicht der Aufmerksamkeit gezerrt. Komplett verjüngt, gutaussehend, vital und im Anzug.
Beim luziden Träumen kann man* die eigentlich vergeudete Zeit jetzt auch produktiv nutzen!

Man kann Bewegungsabläufe, Sprachen, Instrumente und Kampfsportarten lernen. All die Dinge, für die man tagsüber eigentlich keine Zeit hat. Die Bitcoins minen sich ja nicht von allein. Wenn ich will, kann ich im Traum sogar fliegen und endlich aus meinen Verhältnissen entkommen.
Oder auch nicht.“

Leser*innenbrief
Sehr geehrter Herr Oberloher. Mit großem Interesse habe ich Ihren Text gelesen. Erlauben Sie mir eine Anmerkung. Bis zum heutigen Tag hat die Gehirnforschung nicht herausgefunden, wo Träume überhaupt physisch lokalisiert werden können. Das Gleiche gilt für Erinnerungen. Vielleicht findet all das gar nicht in unseren Gehirnen statt! Der Traum ist das vielleicht größte Geheimnis der irdischen Existenz. Vom ausrechenbaren Vorgang bis hin zur Astralreise ins Zentrum unserer außerkörperlichen Existenz ist also noch alles drin. Persönlich halte ich es mit dem persischen Mystiker Rumi, der vor achthundert Jahren schrieb:

„Steig in der Nacht
auf dein Dach in der Seelenstadt hier.
Ihr alle, klettert auf eure Dächer hinauf
und singt euer Lied!
Laut und klar.“

Ich erwarte Ihre Lange Nacht der Luziden Träume mit großer Spannung.
Ferdi Inger, München

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