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Erinnerungen einer Überflüssigen

Lena Christ, die als „außereheliches“ Kind geboren wurde, schrieb sich in ihrem Debütroman 1912 ihre schweren Kindheits- und Jugenderlebnisse von der Seele. Der Erfolg blieb zunächst aus, das Buch wurde aber von der Kritik gelobt. Lesen Sie hier ausgewählte Originalpassagen, die auch für Annette Paulmanns Inszenierung relevant sind.

Sonntagnachmittage im Winter

Eine meiner schönsten Erinnerungen aus dieser Zeit sind die Sonntagnachmittage im Winter. Da hat die Großmutter mir vorgelesen aus uralten, heiligen Büchern und mir erzählt von gottseligen Leuten und deren wunderbarem Tod; hat mir Beispiele von der Hilfe unserer lieben Frau von Frauenbründl und Birkenstein erzählt und wundersame Gebete mir vorgebetet und mich gelehrt. Wenn sie dann beim Lesen eingenickt war und ich zu ihren Füßen auf dem Schemel saß, geschah es manchmal, daß ihr die alte Hornbrille von der Nase und in den Schoß fiel. Beim Erwachen wollte sie weiterlesen; da sie aber ohne Glas nichts sehen konnte, rückte sie das Buch immer näher an die Augen und griff endlich nach der Stelle, wo die Brille gesessen, um sie zurechtzurücken. Da merkte sie erst, daß sie ihr entfallen war.

Die Königskammer

Ich aber schlich mich in die Künikammer oder Königskammer, die zu betreten mir verboten war. Es war das die beste Stube des Hauses, angefüllt mit den Schätzen, die von den Ureltern auf uns gekommen waren; auch die Möbel darin stammten aus alter Zeit. Da standen zwei Truhen, an denen gar seltsame Figuren und Zierate zu sehen waren und darinnen der Brautschatz der Urgroßmutter lag. Es war dies ein bald bläulich, bald wie Silber schimmerndes Seidenkleid, ein köstliches, bunt und goldgesticktes Mieder, dazu eine goldbrokatene Schürze, in die leuchtend rote Röslein gewirkt und die mit alten Blonden besetzt war. Dabei lag eine hohe Pelzhaube, wie sie vor hundert Jahren die Bräute als Kopfputz trugen. (…)

In der Kommode lag mein Taufzeug und das der Kinder, die die Großmutter in der Kost gehabt hatte, dazu eine Menge seidener Tücher für Hals und Mieder. Eine andere Schublade war voll von Büchern, deren Druck so alt war, daß ich kaum ein Wort zu lesen vermochte. Auf dem alten Sesselofen stand eine große Schüssel, darin die Eier unserer Hennen für den Verkauf gesammelt wurden; ferner ein großer Blechbehälter mit Schmalz, etliche Krüge voll Honig und in der Bratröhre das feine Eingekochte. Unter der Bettstatt, deren Bett kaum zu ersteigen war vor Höhe und Fülle des Flaums, stand eine große Holzschachtel, in der die Kränze und der Grabschmuck aufbewahrt wurden. An den Wänden hingen alte Bilder mit sonderbaren Gestalten und Gesichtern und ein großes Kruzifix, dessen Christusfigur so erschreckend zerfleischt aussah, daß ich sie immer mit geheimem Grauen betrachtete.

Meine Mutter

Meine Mutter war damals eine sehr schöne Frau und sprach immer sehr gewählt; denn sie war jahrelang Köchin in adligen Häusern gewesen. Darum schalt sie nun täglich über meine bäuerische Sprache, wodurch sie mich so einschüchterte, daß ich oft den ganzen Tag kein Wort zu sagen wagte. Auch in der Schule spotteten mich die Kinder aus und nannten mich nur den Dotschen oder die Gscherte. So dachte ich oft des Nachts, wenn ich allein in meiner Kammer war, denn bei Tag hatte ich nicht viel Zeit zum Nachdenken, mit Sehnsucht zurück an das Leben bei meinen Großeltern und erzählte unserer großen Katze, die ich mit ins Bett nahm, mein Unglück.

Harte Zeit

In einer Februarnacht aber kam das Kind, und damit begann für mich eine harte Zeit. Nun hieß es um fünf Uhr aufstehen und zu den übrigen Arbeiten noch das Bad, Wäsche und Windeln für den kleinen Hansl herrichten. Kam ich mittags aus der Schule, wurde ich meistens mit Schlägen empfangen; denn ich hatte nachsitzen müssen, weil ich in der Früh zu spät gekommen war. Vor dem Essen mußte ich noch den Laden und das Schlachthaus putzen und das Nötige einkaufen. Bei Tisch hatte ich dann laut das Tischgebet zu beten. Als ich einmal beim Vaterunser statt auf das Kruzifix zum Fenster hinaussah, schlug mich die Mutter ins Gesicht, daß mir das Blut zu Mund und Nase herauslief, auch bekam ich nichts zu essen und mußte während der Mahlzeit am Boden knien. Nach Tisch hatte ich das Geschirr zu spülen, die Kindswäsche zu waschen und den Buben einzuschläfern. Ganz abgehetzt kam ich dann des Nachmittags in die Schule und konnte während der Handarbeitsstunden nur mühsam den Schlaf bekämpfen. Deshalb lernte ich nur schlecht handarbeiten und bekam in diesem Fach meist die Note »Ungenügend«. Zudem strengte mich besonders das Stricken an und verursachte mir stets heftiges Kopfweh. Das wußte die Mutter. Hatte ich nun bei der Hausarbeit etwas nicht recht gemacht, so gab sie mir mit einem spanischen Rohr sechs und manchmal zehn Hiebe auf die Arme und die Innenfläche der Hände, daß das Blut hervorquoll. Hierauf mußte ich mir die Hände waschen und an einem Strumpf in einer gewissen Zeit einen großen Absatz stricken. Vermochte ich vor Schmerzen bis zu der bestimmten Minute nicht fertig zu werden, so wurde die Züchtigung wiederholt. (…)

Im übrigen machte ich in der Schule gute Fortschritte und war bald die Erste. Meine Lehrerinnen nahmen sich meiner an, und als ich einmal in der Früh barfuß in die Schule kam, schickte mich mein Fräulein mit einem Brieflein nachhause, worin sie der Mutter Vorwürfe machte. Doch hatte dies nur eine erneute Züchtigung mit einem Spazierstock meines Vaters zur Folge, einem sogenannten Totschläger oder Ochsenfiesel, in den ringsherum kleine Bleikugeln eingegossen waren.

Geliebt hat mich meine Mutter nie; denn sie hat mich weder je geküßt, noch mir irgend eine Zärtlichkeit erwiesen; jetzt aber, seit der Geburt ihres ersten ehelichen Kindes, behandelte sie mich mit offenbarem Haß. Jede, auch die geringste Verfehlung wurde mit Prügeln und Hungerkuren bestraft, und es gab Tage, wo ich vor Schmerzen mich kaum rühren konnte.

Gedanken an Selbstmord

Ich machte mich, nachdem ich um sechs Uhr aus dem Karzer entlassen war, zitternd auf den Heimweg; denn ich wußte, wie es mir ergehen würde. Geraden Weges heimzugehen vermochte ich nicht, sondern ich kam auf einem Umweg in die Isaranlagen, wo ich mich auf eine Bank setzte und überlegte, ob ich nicht lieber ins Wasser springen sollte. Am End aber siegte doch die Schneid und ich stand auf und ging nachhaus. Ganz langsam schlich ich mich dort über die Stiegen hinauf, stand lange vor der Wohnungstür und betete: »Vater unser, der du bist im Himmel! Laß mi net umgebracht werdn! Heilige Maria, Mutter Gottes, laß mi net derschlagn werdn! Heiliger Schutzengel, hilf mir do! I will’s g’wiß nimma toa!«

Endlich läutete ich. Hinter der Tür aber lehnte schon der Totschläger; und als ich eintrat, empfing mich die Mutter mit einem wuchtigen Schlag. Hierauf gebot sie mir, mich auszuziehen. Als ich im Hemd war, schrie sie mich an: »Nur runter mit’n Hemd! Nur auszogn! Ganz nackat!«

Darauf mußte ich mich niederknien, und nun schlug sie mich und trat mich mit Füßen wider die Brust und den Körperteil, mit dem ich gesündigt hatte. Da schrie ich laut um Hilfe, worauf sie mir ein Tuch in den Mund stopfte und abermals auf mich einschlug. Dabei trat ihr der Schaum vor den Mund, und keuchend schrie sie mich während der Züchtigung an: »Hin muaßt sein! Verrecka muaßt ma! Wart, dir hilf i!«

Der Bauer mit den vierzehn Frauen

Zu dieser Zeit kam von Niederbayern eine zweite Schwester meines Stiefvaters zu uns. Es waren daheim noch mehrere; denn der Vater meines Stiefvaters hatte vierzehn Frauen gehabt, mit denen er neununddreißig Kinder zeugte. Als er mit dreiundzwanzig Jahren das erstemal heiratete, kurz, nachdem sein Vater, der reichste Bauer vom ganzen Rottal, unter Hinterlassung von mehr denn einer Million Gulden gestorben war, brachte ihm die Frau noch über hunderttausend Gulden Heiratsgut mit, und als nach einem Jahr ihr das Wochenbett zum Todbett ward, erbte er noch ihr ganzes übriges Besitztum; denn sie war eine Waise. Kurz danach nahm er die zweite Frau, eine Magd, mit der er sechs Jahre lebte und vier Kinder hatte. Als sie an der Wassersucht gestorben war, heiratete er noch im selben Jahr eine Kellnerin, die er aber nach wenigen Monaten davonjagte, als er eines Tags den Oberknecht bei ihr im Ehebett fand. Die vierte Frau, die Tochter eines reichen Gutsbesitzers, holte er sich aus dem bayerischen Wald, verlor sie aber schon nach zwei Jahren, nachdem sie ihm ein Kind geboren hatte. Die Leute erzählten, er habe sie durch sein wüstes, ausschweifendes Leben zugrunde gerichtet. Bald nach ihrem Tode nahm er mit dreiunddreißig Jahren die fünfte Frau, die ihm vier Kinder mit in die Ehe brachte, von denen böse Zungen behaupteten, daß sie von ihm gewesen; denn diese Frau hatte er zuvor als Oberdirn auf seinem Hof gehabt. Während einer fünfjährigen Ehe gebar sie ihm zweimal Zwillinge und einen Buben, an dem sie starb. Man sagte aber auch, sie sei aus Kummer krank geworden; denn um diese Zeit hatte er begonnen, offen ein wüstes Leben zu führen. Als Viehhändler trieb er oft zwanzig bis dreißig Stück Rinder oder auch Pferde zu Markte und hielt danach mit andern Genossen große Zechgelage. Hierbei wurde gewürfelt, und da er sehr hoch spielte, verlor er oft seine ganze Barschaft samt dem Erlös und mußte nicht selten noch Boten heimschicken um Geld.

Inzwischen war die Frau, von der er sich hatte scheiden lassen, an der Schwindsucht gestorben, so daß er nun, als er mit neununddreißig Jahren das sechstemal heiratete, wieder kirchlich getraut wurde; doch, noch ehe ein Jahr um war, starb die Frau im Kindbett. Nun holte er sich ein Weib aus Österreich, eine junge, sehr schöne Linzerin. Von ihr berichtet man, daß er einmal, als er den ganzen Erlös für das verkaufte Vieh und all sein bares Geld verloren hatte, sie auf einen Wurf setzte und an einen reichen Gutsbesitzer um tausend Mark für eine Nacht verspielte. Während dieser Nacht soll sich die Frau gar sehr gewehrt und den Gutsherrn so schwer an der Scham verletzt haben, daß er bald darauf sterben mußte. Mit dieser Frau lebte er acht Jahre sehr unglücklich, und nachdem sie ihm zehn Kinder geboren hatte, starb sie an dem letzten. Kurz darauf heiratete er mit fünfzig Jahren zum achtenmal und hatte während seiner sechsjährigen Ehe sechs Kinder. Auch diese Frau hatte keine guten Tage bei ihm; denn ihr eingebrachtes Vermögen war gleich dem der anderen Frauen bald verspielt, und nun mißhandelte er sie oder verfolgte sie im Rausch mit seinen Zärtlichkeiten, was das gleiche war; denn er war herkulisch gebaut und massig wie seine Stiere. Auch hatte er noch zu ihren Lebzeiten eine heimliche Liebschaft mit einer anderen, die nach ihrem Tode seine neunte Frau wurde, aber schon nach vierjähriger Ehe mit sechsundzwanzig Jahren an ihrem vierten Kinde starb.

Obwohl nun im Orte heimlich die Rede ging, daß er seine Frauen auch im Kindbett besuchte, davon ihnen das Blut gehend worden wär und daran sie gestorben seien, willigte doch eine Nähterin aus der Pfarre in des Vierundsechzigjährigen Heiratsantrag; denn sie hatte schon zwei erwachsene Kinder von ihm. Doch auch ihr wurde das gleiche Schicksal und sie starb nach zwei Jahren zugleich mit dem Kinde im Wochenbett. Mit siebenundsechzig Jahren heiratete er zum elftenmal, und als die Frau schon nach zwei Monaten gestorben war, ging er mit neunundsechzig Jahren die zwölfte Ehe ein. Mit dieser Frau lebte er vier Jahre und nahm nach ihrem Tode mit vierundsiebzig Jahren die dreizehnte. Diese letzten Ehen waren alle unglücklich; denn daheim prügelte er die Frauen und in den Wirtshäusern verspielte er alles, was er besaß. Beim Tode der dreizehnten Frau hatte er nichts mehr, und als er jetzt mit neunundsiebzig Jahren in das Armenhaus kam, fand er da eine Armenhäuslerin, die seine vierzehnte Frau wurde. Mit ihr lebte er noch sieben Monate und starb danach als Bettler; sie hat ihn dann noch kurze Zeit überlebt.

Die kostbare Waschschüssel

So kam es, daß ich wieder täglich kränker wurde und endlich vor Mattigkeit mich alle Augenblicke niedersetzen oder anlehnen mußte. Das nahm man aber für Faulheit, und besonders die Mutter beklagte sich darüber: »Nur schö langsam! Heut a Trumm, morgen a Trumm! Bis i an Steckn nimm und zoag dir, wie ma arbat!«

Ich nahm mich nun recht zusammen; doch während ich das Schlafzimmer meiner Eltern aufräumen wollte, befiel mich wieder eine solche Müdigkeit, daß ich mich aufs Sofa setzen mußte, um zu rasten. Ich schlief ein und erwachte erst, als meine Mutter mir einige Schläge auf den Kopf gab; denn es war inzwischen Mittag geworden und sie kam, frische Servietten für die Stammgäste zu holen. Voll Zorn schrie sie mich an: »Da hört si do scho alles auf! Mittn am Tag legt si dös faule Luder hin und schlaft, anstatt z’arbatn! Aber wart, i hilf dir! Augenblickli wichst ma jetzt den Schlafzimmerboden; und sauber wann net alles is, dann Gnade Gott! Jatz is elfe; um zwoa komm i rauf, da will i alles ferti sehgn!«

Mir war ganz dumm im Kopf, aber ich begann trotzdem wieder zu arbeiten. Als ich etwa ein Drittel des Zimmers mit Stahlspänen abgerieben hatte, drehte sich plötzlich alles vor meinen Augen und ich wußte nichts mehr.

Lange muß ich so dagelegen sein; denn kaum hatte ich wieder zu arbeiten begonnen, schlug es zwei Uhr. Ich war vor Schrecken ganz ratlos, denn ich hörte die Mutter kommen. Als sie sah, wie wenig ich gearbeitet hatte, schrie sie: »Was, du bist no net ferti! Ja, da is ja no net amal richti o’g’fangt! Du willst mi, scheint’s, zum Narren haltn, du Kanallje!« Dabei trat sie mich mit Füßen und riß mich an den Haaren in die Höhe.

Mühsam fing ich wieder an zu arbeiten, während die Mutter an den Waschtisch gegangen war und sah, daß ich das Wasser noch nicht ausgeleert hatte. Da schrie sie: »Ja, was is denn dös! Net amal d’Waschschüssel hat s’ausg’leert und a frisch Wasser reitragen!«

»Ja mei, i hab ma’s ja net z’tragen traut, die teure Schüssel, weil mi alle Augenblick der Schwindel anpackt.«

»Was Schwindel! Dir treib i dein’ Schwindel aus. Sofort leerst die Schüssel aus! I möcht wissen, für was ma dir z’fressn gibt, du langhaxats G’stell!« rief sie und stieß mich an den Waschtisch.

Ängstlich faßte ich die schöne Schüssel, die von zarter, himmelblauer Farbe war, mit einem goldenen Rand, und eine Muschel darstellte. Im Innern war ein Bild, das zwei Mädchen in fremder Tracht zeigte, die am Meeresstrand standen und einen in einem Segelboot sitzenden Burschen aus flachen Schalen mit Wasser bespritzten. Den Krug schmückte eine ähnliche Szene; das Geschirr war alt und kostbar und der Name des Künstlers stand darauf geschrieben.

Schwankend trug ich also die Schüssel durch das Zimmer, als ich plötzlich einen Stoß verspürte, worauf ich zu Boden stürzte. Die Mutter hatte es getan; denn ich war ihr zu langsam gegangen.

Starr blickte ich erst auf die Wasserlake, dann auf die Scherben und vergaß, aufzustehen, bis mich die Mutter mit dem Ochsenfiesel des Vaters daran erinnerte.

Eine halbe Stunde später, als ich, die blutigen Striemen an meinem Körper betrachtend und vor Schmerzen an Brust und Rücken stöhnend, bemüht war, das Unheil wieder gut zu machen, ging die Mutter fort mit der Drohung: »Dawerfa tua i di, wenn i net die gleiche Schüssel kriag!«

Leberknödel-Attacke

Gewöhnlich aber blieb ich am Vormittag in der Küche, während die Mutter sich im Lokal mit den Gästen unterhielt, ihre drei bis vier Weißwürste aß und etliche Krügl Bier trank; denn der Vater war häufig vormittags am Schlacht- oder Viehhof oder in der Stadt. Von Zeit zu Zeit kam dann die Mutter zu mir in die Küche und kostete die Speisen, befahl dies oder tadelte jenes und gab mir auch manche Ohrfeige, wenn ich etwas versäumt oder nicht recht gemacht hatte. So kam sie auch einmal dazu, als ich eben den Teig zu den Leberknödeln, deren wir jeden Mittwoch an die zweihundert bereiteten, fertig hatte und nun daraus die Knödel formte und auf ein langes Brett reihte.

»Halt, laß mi z’erscht schaugn, ob er recht is, der Toag!« rief die Mutter und tippte mit dem Finger in die Teigmulde. »Was hast denn jatz da für a Zeug z’sammgmacht! Sigst net, daß der Toag no net fest gnua is, du Hackstock, du damischer!«

Und kaum hatte sie dies gesagt, flogen mir auch schon ein paar von den Leberknödeln an den Kopf, daß mir der Teig im Gesicht und an den Haaren klebte.

»So, vielleicht lernst es jatz eher, du G’stell, du saudumms!«

Darauf ging sie wieder, laut schimpfend, in die Stube und erzählte den Gästen von meiner Unbrauchbarkeit: »Hintreschlagn kannt’st es, dös himmellange Frauenzimmer! Zu nix kannst es brauchn wie zum Fressn!«

Solche Auftritte verleideten mir freilich bald die Freude am Küchenwesen und ich war froh, wenn der Vater einmal daheim blieb. Da kochte dann die Mutter selbst und ich mußte in die Schenke und zu den Gästen, sie zu unterhalten.

Fünf bis sechs Semmeln und eine kalte Wurst

Sonst gingen die Eltern nachmittags entweder beide ins Kaffeehaus oder legten sich schlafen. Da mußte ich dann ganz allein das Geschäft und die Schenke versorgen, was mir stets eine große Freude bereitete, da ich sehr ehrgeizig war. Ich setzte mich in die Ofenecke und hielt nun erst meine Mittagsmahlzeit; denn zuvor hatte ich nicht Lust noch Zeit gehabt zum Essen und schenkte es, wenn die Mutter wirklich schon etwas für mich hergerichtet hatte, immer einem armen Burschen, der sich nichts kaufen konnte, dem Schusterhans.

Da saß ich nun bei meinem Bierkrüglein und aß dazu meine fünf bis sechs Kaisersemmeln und eine kalte Wurst und las die Zeitungen; denn zwischen zwei und drei Uhr war das Geschäft ganz ruhig und auch das Zimmer von Gästen leer. Höchstens kamen etliche, die Waren brachten und dabei rasch eine Halbe tranken. Um drei Uhr zur Brotzeit aber war es wieder so lebhaft wie am Morgen, doch ich wurde leicht fertig und konnte mich bald wieder zu den Gästen setzen. Nun wurde Karten gespielt oder gesungen und es war recht fidel.

Das Geschenk für die Mutter

Da kam der Namenstag der Mutter. Schon einige Tage vorher hatte ich die Babett an einer sehr feinen Spitze häkeln sehen und plagte sie nun, sie solle mir dieselbe für die Mutter verkaufen. Sie willigte ein, und nachdem sie mich das Muster gelehrt hatte, häkelte ich noch ein gutes Stück selber dazu. Ich bezahlte ihr für die Arbeit zwei Mark, bat mir aber aus, sie dürfe der Mutter ja nicht verraten, daß auch sie daran gehäkelt habe; denn die Mutter hielt nur auf Handarbeiten etwas, die man selbst gefertigt hatte. Sie schien auch wirklich sehr erfreut und fragte mich, wo ich das Muster herbekommen habe. Ich antwortete: »Von der Babett.«

Darauf meinte sie: »Die hast ja du gar net g’häkelt, die hat ja d’Babett g’macht!«

Ich blickte wie versteinert die Mutter an und brachte endlich kaum hörbar die Worte heraus: »Wer sagt denn dös?«

»D’Babett hat mir’s selber g’sagt!« erwiderte die Mutter scharf.

Da brach ich in Tränen aus: »Naa, so a Gemeinheit! Jatz hat s’ mir’s so heilig versprocha, daß s’ nix sagt…«

»So, hab i di jatz g’fangt, du Luder, du verlogns!« triumphierte jetzt die Mutter mit bösem Lachen; dabei nahm sie die Spitze und warf sie ins Herdfeuer. »Heut konnst di aber g’freun! Heut treib i dir’s Lügn aus für allweil!«

Trocken-Wohnen

Ich suchte also Arbeit und fand auch solche; doch nicht lange dauerte es, da konnte mein geschwächter Körper dieselbe nicht mehr leisten, da ich, um den Kindern das ihre geben zu können, oft hungern mußte. Am End war ich erschöpft und mußte meine Stellung aufgeben.

Nach kurzer Zeit war auch der Rest meines Geldes verbraucht; und da ich das Kostgeld für meine Kinder nicht mehr aufbringen konnte, setzte man sie mir eines Tages im Winter vor die Tür.

Da fand sich ein Baumeister, der mir in seinem Neubau umsonst Wohnung bot.

Ich band meine Habe samt den Kindern auf einen Karren und zog dahin. Ein alter, brotloser Mann, dem ich früher Gutes getan hatte, half mir dabei. Das Haus war noch ganz neu, und das Wasser lief an den Wänden herab; wir schliefen auf dem Boden und bedeckten uns mit alten Tüchern und krochen zusammen, damit wir nicht gar zu sehr froren.

Einige leichtere Schreibarbeiten schützten uns vor dem Verhungern, wenngleich unser tägliches Mahl in nichts weiter bestand, als in einem Liter abgerahmter Milch und einem Suppenwürfel, aus dem ich nebst einem Ei und etwas Brot eine Suppe für die Kinder bereitete. Ich selber aß fast nichts mehr und war so elend und krank, daß ich mehr kroch als ging.

Eines Tages erfuhren wir, daß mein Gatte in der Kreisirrenanstalt untergebracht worden sei, da eine Geisteskrankheit ihm dauernd das Licht des Verstandes genommen hatte. Nach einem Monate solch jammervollen Lebens war auch die Gesundheit meiner Kinder dahin. Hustend und weinend hingen sie an mir, während Fieberschauer mich schüttelten.

Oft war die Versuchung in mir aufgestiegen, dem Leben ein Ende zu machen; oft hatte ich am Abend den Hahn der Gasleitung zwischen den Fingern; doch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ließ mich das nicht vollbringen, was die Verzweiflung mir eingab.

Mitleidige Menschen machten endlich den Armenrat des Bezirks auf mein Elend aufmerksam, worauf die Gemeinde für uns sorgte, indem sie die Kinder einer Anstalt übergab, während ich im Krankenhaus Erlösung aus aller Trübsal erhoffte. Doch das Leben hielt mich fest und suchte mir zu zeigen, daß ich nicht das sei, wofür ich mich so oft gehalten, eine Überflüssige.